Amplonius – Ein strategischer Büchersammler: ein Leben lang?

Bereits in den letzten Blogbeiträgen habe ich über das Articella-Konvolut und seine Bedeutung für die medizinische Lehre berichtet. Heute möchte ich den Blick auf eine andere zentrale Schrift der medizinischen Lehre an mittelalterlichen Universitäten lenken, die uns gleichzeitig einen wichtigen Einblick in die Sammlungsgeschichte der Amploniana bietet: Abū Bakr Muḥammad bin Zakaryā ar-Rāzī (kurz: Rasis) war ein Arzt und Krankenhausleiter aus Rey, einer bedeutenden Stadt der Antike und des frühen Mittelalters nahe Teheran. Er tat sich mit knapp 150 Schriften auch als produktiver Wissenschaftler und Philosoph hervor. Für das europäische Mittelalter war besonders der Liber medicinalis ad Almansorem von großer Bedeutung, da er in diesem Werk das umfangreiche Corpus des antiken Arztes Galen strukturierte und daraus einen Lehrplan für das Studium der Medizin erschuf. Dieses Werk fand schließlich durch die lateinische Übersetzung des Gerhard von Cremona Einzug in den medizinischen Lehrplan der europäischen Universitäten.

Abb. 1: CA 2° 260, fol. 4r

In der Amploniana befinden sich insgesamt sieben Handschriften mit diesem Text. Mit Hilfe des von Amplonius eigenhändig angefertigten Katalogs zur ersten Tranche seiner Stiftung wissen wir, dass er zunächst vier Bände mit dem Liber medicinalis des Rasis gestiftet hat. Hierbei handelt es sich um die Handschriften CA 2° 265, CA 2° 291, CA 4° 214, CA 4° 230, die im Amplonius-Katalog mit den Nummern 36, 58, 52 und 66 in der Rubrik De medicine verzeichnet waren. Als sammlungsgeschichtlich besonders interessant haben sich jedoch zwei der Rasis-Handschriften herausgestellt, die erst nach der Stiftung des Amplonius Eingang in das Collegium Porta Coeli fanden. Hierbei handelt es sich um CA 2° 244 und CA 2° 260, die mit den Nummern 132 und 124 De medicine in den Bestand der Amploniana kamen. Sie gehören also zu den Nachstiftungen, bei denen bis dato noch nicht geklärt ist, auf welchem Weg und vor allem durch wen sie in die Sammlung gelangten.

Abb. 2: CA 2° 244, fol. 3r
Abb. 4: CA 2° 260, fol. 201r
Abb. 3: CA 2° 244, fol. 27r

Hier konnten jedoch im Zuge des laufenden Projekts wichtige Erkenntnisse gesammelt werden, die sich aus der Objektgeschichte der beiden Handschriften ergeben. So wurden beide Handschriften durch Schriftbefund nach Montpellier in die 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts verortet. Zwar lassen sich bei den Schreibhänden keine Gemeinsamkeiten erkennen, doch weisen beide als Textzeugen eine Besonderheit auf: Wie Danielle Jacquart nachgewiesen hat¹, handelt es sich hier bei beiden Texten nicht um die Übersetzung durch Gerhard von Cremona, sondern um die eines unbekannten Übersetzers, welche offensichtlich in Montpellier in jener Zeit im Umlauf war. Neben diesen überlieferungsgeschichtlichen Gemeinsamkeiten gibt es jedoch auch objektgeschichtliche Gemeinsamkeiten, die auf das Ende des 14. Jahrhunderts weisen. In dieser Zeit müssen sich beide Bände bereits im deutschen Raum befunden haben. Denn in jener Zeit wurden beide Handschriften von der gleichen, nordalpinen Hand mit Blick auf die Nutzerfreundlichkeit überarbeitet. Hierfür wurde nicht nur der Text mit Überschriften und Rubriken versehen, sondern auch Verzeichnisse angelegt, um die Handschriften besser nutzen zu können (Vgl. Abb. 1-4). Da beides von gleicher Hand in gleicher Art durchgeführt wurde, dürfte es sich hier um eine bewusste Überarbeitung für eine weitere Nutzung außerhalb des Privatbesitzes handeln.

Es wäre natürlich naheliegend, diese Überarbeitungen Amplonius selbst für eine Nachstiftung zuzuschreiben, da sie noch in einem Segment vorkommen, in dem sich überwiegend Nachstiftungen des Amplonius befinden. Doch wurden die Überarbeitungen von einer geübten Hand im vierten Viertel des 14. Jahrhunderts angefertigt, sodass Amplonius hier wohl nicht in Frage kommt. Es muss also ein anderer Vorbesitzer gewesen sein, der diese Überarbeitungen für eine Nutzung in einer anderen Institution überarbeitet hat. Eine solche Institution könnte die Stiftskirche St. Aposteln in Köln gewesen sein. Denn auf diese weist das Einbandfragment aus der Handschrift CA 2° 244 hin, dass einem gewissen Heinrich von Neumagen Pfründe für eine Lehrtätigkeit an der dortigen Klosterschule in Aussicht stellte. Da Amplonius aber selbst ab 1400 dort als Kanoniker wirkte, ist es zumindest möglich, dass er diese besonders benutzerfreundlichen Rasisbände erwarb, um sie später als Nachstiftung dem Collegium Porta Coeli zur Verfügung zu stellen. In der Sammlung selbst hatten dann auch beide Bände eine zentrale Bedeutung, da sie im Verlauf des 15. Jahrhunderts mit einer Kette und Buckeln versehen (vgl. Abb. 5 und 6) und den Studenten als zentrale Lernwerke an Pulten dargeboten wurden.

Abb. 5: CA 2° 260, hinterer Buchdeckel mit Kette, Schließe und Buckeln
Abb. 6: CA 2° 244, hinterer Buchdeckel mit gleicher Kette, gleicher Schließe und gleichen Buckeln

Doch was würde das für die Sammlungsgeschichte bedeuten? Die vergleichsweise hohen Nummern haben bisher dazu geführt, diese Bände nicht als Nachstiftung des Amplonius einzuordnen. Durch die Hinweise jedoch muss zumindest die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass auch im Segment 100-150 De medicine noch zahlreiche Bände zu finden sind, die Amplonius nicht nur wegen ihres Inhalts, sondern auch wegen ihrer Benutzerfreundlichkeit für seine Stiftung erwarb und diese Bände nachstiftete.

¹ Vgl. Danielle Jacquart, Note sur la traduction latine du Kitab al-Mansaura de Rhazès, Revue d’histoire des textes, 24, 1994, p. 359-374.

Sven-Philipp Brandt

 

 

Öffnungs- und Servicezeiten der UB während der vorlesungsfreien Zeit / Opening hours during the lecture-free period

Vom 1. August bis zum 25. September hat die Bibliothek verkürzte Öffnungs- und Servicezeiten. Montag bis Freitag ist 9 – 20 Uhr geöffnet (Servicezeit der Theken
10 – 16 Uhr). Samstags steht die UB 10 – 16 Uhr zum Lernen und Arbeiten zur Verfügung.

Bitte beachten Sie bei Ihren Planungen, dass die Bibliothek
vom 12. – 18. September geschlossen ist.

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei den Prüfungen und erholsame Sommertage.

in English: see below

From 1 August to 25 September, the library will have shortened opening and service hours. Monday to Friday the library will be open from 9 a.m. to 8 p.m. (service desk 10 a.m. – 4 p.m.). On Saturdays, the library is open 10 a.m. – 4 p.m. for study and work.

When making your plans, please note that the library will be closed
from 12 – 18 September
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We wish you good luck with the exams and relaxing summer days.

Die Bibliothek gibt Bücher ab

Am Mittwoch, den 13. Juli 2022 stellen wir zwischen 09.00 und 18.00 Uhr am Bibliothekseingang zwei Bücherwagen mit ausgesonderten Büchern aus dem Bibliotheksbestand bereit. Wir freuen uns, wenn etwas Interessantes für Sie dabei ist. Sie dürfen diese Bücher gerne mitnehmen und behalten.

Dass Bibliotheken Medien ausmustern, ist ein normaler Vorgang. Die Platzreserven eines Gebäudes sind endlich. Deshalb wird verschlissene oder äußerlich noch brauchbare, aber inhaltlich überholte Literatur aus dem Bestand genommen, um Platz für aktuelle Medien zu schaffen.

Geregelt ist diese Vorgehensweise für die Thüringer Hochschulbibliotheken in einer Richtlinie für die Aufbewahrung und Aussonderung von Bibliotheksgut, die vom zuständigen Ministerium für Wirtschaft Wissenschaft und Digitale Gesellschaft erlassen wurde. Die aktuelle Richtlinie (September 2020) sieht explizit die (unentgeltliche) Abgabe ausgemusterten Bibliotheksguts vor.
Die Universitätsbibliothek Erfurt macht gerne von dieser Regelung Gebrauch.

Literaturverwaltung mit Citavi Web

Seit dem 1. Juni steht Citavi Web für alle Mitglieder der Universität Erfurt kostenfrei zur Verfügung – im Rahmen der Campuslizenz für Citavi und zusätzlich zur Desktop-Version. Mit Citavi Web kann man browserbasiert und unabhängig vom Betriebssystem des Rechners arbeiten. Benötigt werden lediglich ein aktueller Browser und eine Internetverbindung.

Der Zugang zu Citavi Web ist über die Webseite https://citaviweb.citavi.com möglich. Loggen Sie sich mit Ihrem vorhandenen Citavi-Account ein bzw. legen sich auf dieser Seite einen neuen Account über den Button „Mit Universität fortfahren“ an. Sie werden durch den Anmeldevorgang geführt. Wichtig ist, dass bei der Angabe der Mailadresse die Uni-Mail-Adresse verwendet wird. Über diese Adresse werden die Lizenzdaten der Universität Erfurt verteilt.

Wer schon mit der Desktop-Version von Citavi gearbeitet hat, wird sich auch schnell mit Citavi Web zurechtfinden. Die Bezeichnungen sind meist gleich, die Arbeitsabläufe prinzipiell identisch. Aber auch Neulinge werden sich das Programm durch seine intuitive Bedienbarkeit leicht erschließen. Abgelegt werden Projekte in der Citavi Cloud; sie können für weitere Teammitglieder zum gemeinschaftlichen Arbeiten freigegeben werden.

Einige Funktionen fehlen in Citavi Web noch, s. https://help.citavi.com/knowledge-base/article/citavi-web-fehlende-funktionen. Und schließlich noch ein letzter Hinweis für Experten: es gibt Unterschiede zwischen dem Citavi Word Add-In und dem bei Citavi Web eingesetzten Citavi Assistent als Schnittstelle zum Worddokument.

Die Campuslizenz für Citavi ist für die Universität Erfurt bis zum 31.05.2025 gültig.

Weitere Informationen
Handbuch Citavi Web: https://www1.citavi.com/sub/manual-citaviweb/de/index.html
Lernangebote der Bibliothek: Einführung in die Literaturverwaltung mit Citavi

Katja Freudenberg

Beat Generation

Zusammen mit Allen Ginsberg und William S. Burroughs war Jack Kerouac die führende Figur der avantgardistischen US-Literaturbewegung, die als Beat Generation bekannt wurde. Sie lehnte die starren Konventionen des Amerikas der 1950er Jahre ab und vertrat ein neues Genre des spontanen, freien, halbautobiografischen Schreibens.

Der 100. Geburtstag von Kerouac im März sowie die 25. Todestage von Ginsberg (April) und Burroughs (August) sind ein Anlass, sich wieder einmal mit dieser literarischen Strömung zu befassen. Bekannt wurde Ginsberg durch sein langes Gedicht Howl (Signatur HU 3701.996), das bei seinem Erscheinen 1956 wegen seiner obszönen Sprache einen Skandal auslöste. Als eines der Hauptwerke der Beat Generation gilt auch der Roman Naked Lunch (Signatur HU 3279 N16.959) von Burroughs. Jack Kerouac wird die erstmalige Verwendung des Begriffs der Beat Generation zugeschrieben. Sein bekanntestes Werk ist On the Road (Signatur HU 4133 R62.2007), das er in angeblich nur drei Wochen auf eine Rolle Fernschreiberpapier tippte.

Literatur von und über die Vertreter der Beat Generation (Signatur HU 1724 ff) findet sich im Lesesaal der Bibliothek. Zahlreiche elektronische Veröffentlichungen sind über die Bibliothekskataloge OPAC und Discovery zugänglich.

Sabine Ziebarth

Von dicken Brummern und Zettelwirtschaft

Wenn Handschriften, Inkunabeln bzw. Alte Drucke (bis einschließlich 1850) in Bibliotheken, Archiven oder Antiquariaten aufbewahrt und für Nutzer/Besucher erschlossen bzw. für Käufer beschrieben werden, ist ein wichtiges Merkmal der äußeren Beschreibung die Größe des vorliegenden Bandes.
So ergibt sich das sogenannte bibliografische Format durch die Faltung des Papierbogens, womit kein genaues Format definiert wird, sondern die Teilungsverhältnisse des Bogens angegeben werden. Einfach gesagt: wie oft wurde der Papierbogen gefaltet und wie viele Blätter liegen dann vor.
Im Bibliothekswesen werden oft die Formate 2° (Folio), 4° (Quart), 8° (Oktav) und 12° (Duodez) bei Alten Drucken zur Angabe des Formats benutzt. Folio bedeutet: der Papierbogen wird 1 Mal gefaltet und ergibt 2 Blätter, bei Quart wurde der Papierbogen 2 Mal gefaltet und ergibt 4 Blätter usw.

Auch der Bestand an Alten Drucken und Handschriften z. B. aus der Bibliotheca Amploniana wurde u.a. auf diese Weise erschlossen (Bestandteil der Signatur) und platzsparend aufgestellt.

So kommt es, dass es neben ausgesprochen großen (und schweren) Bänden im Sondermagazin der UB Erfurt auch Winzlinge oder aus einem Blatt bestehende Einblattdrucke (bspw. Flugschriften oder Gelegenheitsschriften) aufbewahrt werden. Im Bereich der Inkunabeln und Drucke gibt es sogar zahlreiche Bände mit dem Format gr2° (siehe Abbildung 2).

Unsere größte Bestandsgruppe sind die Oktavbände, die ein gängiges und bequem zu lesendes Format haben – was schon die Buchdrucker und -binder vergangener Zeiten durchaus im Blick hatten.
Andrea Langner

Abbildung 1: UB Erfurt, Dep. Erf., 13-Tp. 4° 1660 (7)
Andächtiges Gebett zu der Gnaden-reichen Jungfrau Maria Zell.
Druck von ca. 1720. Der Erscheinungsort ist  nicht bekannt. Die Illustration ist ein Holzschnitt, das Werk besteht aus nur einem Bogen mit der Größe ca. 10 x 17,5 cm

Abbildung 2: UB Erfurt, Dep. Erf., I. gr2° 315 (Speculum naturale, Straßburg , nicht nach 1476) und 13-A. 8° 231g (Dictionnaire Abrégé De La Fable …, Paris 1766)