Zum 101. Geburtstag von Annemarie Schimmel

Am 7. April 2023 wäre Annemarie Schimmel 101 Jahre alt geworden.
Die namhafte Islamwissenschaftlerin verstarb allerdings schon 2003 im Alter von 80 Jahren.
Ihrer Geburtsstadt Erfurt war sie offenbar zeitlebens verbunden – obwohl sie nach Lebensstationen in Berlin, Marburg, Ankara und Harvard ihre letzten Lebensjahre in Bonn verbrachte, wo sich auch ihr Grab befindet. So wurde sie 1997 Mitglied im Kuratorium der Universität Erfurt und vermachte derselben Teile Ihrer Bibliothek sowie ihre Orden und Ehrenzeichen. Letztere werden in einer kleinen Dauerausstellung in der Universitätsbibliothek gezeigt, welche nach Voranmeldung zu besichtigen ist (https://www.uni-erfurt.de/fileadmin/einrichtung/bibliothek/Infomaterialien/info_ASchimmel.pdf).
Ohne Voranmeldung sind einige Stücke am 23. Juni 2023 bei der Langen Nacht der Wissenschaften in der Universitätsbibliothek zu sehen. Die Inhaberin der Professur für Allgemeine Religionswissenschaft, Dr. Katharina Waldner, sowie Ayse Yasar, Doktorandin in der Religionswissenschaft, machen daraus lebendige Geschichte(n), indem Sie die in jeder Hinsicht bemerkenswerte Karriere dieser Wissenschaftlerin beleuchten, die von ihrer Arbeit sagte, sie sei eine „One-Women-Show“.

Weitere Informationen über Annemarie Schimmels Leben sowie über Ausstellungen und Veranstaltungen über sie sind hier zusammengestellt: https://www.uni-erfurt.de/bibliothek/suchen-und-finden/sammlungen-der-ub-erfurt/bibliothek-annemarie-schimmel

Annemarie Schimmels Autobiographie, die nur ein halbes Jahr vor ihrem Tod vollendet wurde, befindet sich in der Universitätsbibliothek Erfurt unter der Signatur BE 8607 S335 M8(4) (https://opac.uni-erfurt.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=363238492)

Den in der Universitätsbibliothek befindlichen Buchbestand aus Annemarie Schimmels Privatbibliothek finden Sie hier: http://opac.uni-erfurt.de/DB=1/CMD?ACT=SRCHA&IKT=1016&SRT=YOP&TRM=sgn+bibliothek+annemarie+schimmel

Orden, Preise, Ehrenprofessuren und -doktorate, Ehrenmitgliedschaften, Ehrenurkunden usw. von Annemarie Schimmel sind erfasst in: https://kalliope-verbund.info/de/findingaid?fa.id=DE-611-BF-72078&fa.enum=1

Fotos (Prof. Dr. Katharina Waldner privat): Annemarie Schimmels Elternhaus Am Nettelbeckufer 7 in Erfurt

Prof. Dr. Katharina Waldner und Dr. Katrin Ott

Wortschatz Bibliothek. Heute: Durchschossenes Exemplar, das; -e

Wer glaubt, dass durchschossene Bücher Opfer von Verbrechen oder Kriegshandlungen wurden, befindet sich auf dem Holzweg. Vielmehr stammt dieser Begriff aus dem Prozess der Buchherstellung: nach jedem beschriebenen oder bedruckten Blatt ist eine leeres Blatt eingebunden.

Dieses konnten z.B. die Autoren selbst für Korrekturen oder Ergänzungen (Anmerkungen für neue Auflagen) nutzen oder Käufer und Leser beauftragten das Einbinden der leeren Blätter, um Platz für handschriftliche Notizen zu haben – also zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem gedruckten Werk.

 

Handelt es sich bei einem Bibliotheksexemplar (wie hier LA. 4° 154 (1)) um ein durchschossenes Buch, wird dies in den Informationen zum Exemplar vermerkt und ist auch bei der Recherche im OPAC oder Discovery zu finden.

Einschussspuren am Exemplar (6-Tu. 4° 602)

Ein durch Einschuss beschädigtes Buch haben wir aber auch im Bestand: die Postinkunabel (Vocabularius Theologie …) wurde schwer beschädigt; dank umfangreicher Restaurierungsarbeiten ist dieser Band wieder nutzbar!

Restaurierungsbericht für 6-Tu. 4° 602

Andrea Langner

Amploniana-Handschrift in Göttingen wiedergefunden

„Die ,Bibliotheca Amploniana‘ ist die größte heute beinahe geschlossen erhaltene Handschriftensammlung eines spätmittelalterlichen Gelehrten weltweit und zählt zu den bedeutendsten Handschriftensammlungen Deutschlands.“[1]

Aus diesem vielzitierten Satz soll heute das Wort „beinahe“ näher beleuchtet und ein großartiger Fund in einen größeren Kontext eingeordnet werden.

Der Arzt und Gelehrte Amplonius Rating de Berka erstellte um 1410-1412 einen Katalog seiner bis dahin zusammengetragenen Schriften und übergab diese Sammlung 1412 an das von ihm in Erfurt gestiftete Collegium Porta Coeli. Da er verfügte, dass jeder Stipendiat nach Abschluss seines Studiums dem Collegium mindestens ein Buch zu überlassen habe, wuchs die Büchersammlung – später auch mit Drucken – immer weiter an.

Auf der anderen Seite gingen im Laufe der Jahrhunderte vielleicht sogar mehrere hundert Handschriften verloren[2] oder gelangten auf unterschiedlichsten Wegen in anderes Eigentum.

Diebstähle sind bereits aus dem 15. Jahrhundert bekannt, und auch in späteren Zeiten waren die Bände nicht immer genügend gesichert und beaufsichtigt.

Der Mainzer Kurfürst und Erzbischof Lothar Franz Graf Schönborn (1695-1725) bediente sich aus den Beständen für seine Privatsammlung.

Im 18. Jahrhundert muss leider Vernachlässigung im Spiel gewesen sein. 1713 beschrieb der Erfurter Chronist Johann Michael Weinrich (1683-1727) seine Beobachtungen: „und ob sie gleich feine, auch rare Codices MStos haben mag, so wird ihrer doch ja wohl übel gehütet […], daß auf manchem Buch der Staub zwey Finger dick ruhe und niemand wisse, welches das oberste oder unterste Theil der Bibliothec bedeute.“[3]

Und: „Nach Eingehen des Kollegiums fand man 45 Codices so verfault und vermodert vor, daß man sich dazu entschloß, sie zu vernichten.“[4]

Zwei nach Münster gelangte Bände verbrannten während des Zweiten Weltkriegs.
Eine größtenteils durch Brand zerstörte Handschrift befindet sich aktuell noch im Depositum, als welches die Bibliotheca Amploniana heute – unter optimalen klimatischen und sicherheitstechnischen Bedingungen – in der Universitätsbibliothek Erfurt aufbewahrt wird.

Dep. Erf., CA 4° 208, https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/HSP000604D600000000

Ehemals amplonianische Handschriften finden sich heute in der Schlossbibliothek Pommersfelden (bei Bamberg), in den Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek in München, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Forschungsbibliothek Gotha sowie der Universitätsbibliotheken Dresden und Göttingen.

Eine genaue Bezifferung der Verluste oder gar eine genaue Rekonstruktion der amplonianischen Bestände in ihrer ursprünglichen Anzahl wird wohl kaum möglich sein.

Umso erfreulicher ist es also, wenn durch die Forschung Handschriften aus der Bibliotheca Amploniana wiederentdeckt werden. Dies geschah kürzlich in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: https://sub.hypotheses.org/1172

Ein wissenschaftlicher Bearbeiter wurde zunächst durch den für viele Amploniana-Bände typischen Einband[5] auf die mögliche Herkunft aufmerksam und fand sogar einen eindeutigen Besitzeintrag:

Eintrag im vorderen Spiegel der Göttinger Handschrift Kodex 8° Cod. Ms. hist. nat. 75 Cim.: „porte celi Jn Erffordia“, s. https://sub.hypotheses.org/1172

So schließt sich eine weitere Lücke in der Erforschung der „entfremdeten“ Handschriften der Amploniana.

Ob es vielleicht sogar eines Tages möglich sein wird, die bisher bekannten erhaltenen Handschriften aus den verschiedenen Sammlungen virtuell zusammenzuführen?
Ein lohnendes Ziel wäre es jedenfalls.

Dr. Katrin Ott


Anmerkungen:

[1] Etwa: https://www.uni-erfurt.de/bibliothek/suchen-und-finden/handschriften-inkunabeln-alte-drucke/bibliotheca-amploniana/sammlung; https://de.wikipedia.org/wiki/Bibliotheca_Amploniana

[2] Johannes Kadenbach: 476. Thomas Bouillon: mindestens 257, vgl. https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/2017062852944/PfeilRatingDeBerka.pdf?sequence=1&isAllowed=y, S. 49 und ebd., Anm. 78).

[3] https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb11253292?page=319, S. 297f.

[4] S. https://opac.uni-erfurt.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=186838085, S. 3.

[5] Vgl. etwa: https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/ufb_derivate_00015520/CA-2-00152_0001.tif (ähnliche Kette und Halbledereinband); https://https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/ufb_derivate_00014705/CA-2-00292_0001.tif (ähnlicher Halbledereinband; die Messingbänder fehlen); https://dhb.thulb.uni-jena.de/receive/ufb_u_00023504 (ähnliche Kette)

DFG fördert Fortsetzung der Digitalisierung der Bibliotheca Amploniana

In dem seit Oktober 2019 laufenden DFG-Projekt, „Digitalisierung und Tiefenerschließung von Handschriften der Bibliotheca Amploniana in der Universitätsbibliothek Erfurt“ sollten innerhalb von drei Jahren 317 der 977 Handschriften digitalisiert werden (s. Lesezeichen-Beitrag vom 18.06.2020: https://www2.uni-erfurt.de/bibliothek/blog/neues-dfg-projekt-bibliotheca-amploniana-in-der-universitaetsbibliothek-erfurt/).

Zu diesem Projekt gibt es zwei hervorragende Neuigkeiten:

Das Projektziel wurde nicht nur erreicht, sondern sogar übertroffen: Aktuell sind ca. 520 Handschriften der Bibliotheca Amploniana online: https://dhb.thulb.uni-jena.de/servlets/solr/dhb_restricted?qry=ArchFile_class_001%3Ac8166d86-1cec-4ad0-b67d-39023f1452e2&fq=hasImage%3A(%22false%22).

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft – das ist die zweite gute Nachricht – belohnt diese Erfolge mit der Bewilligung einer zweiten Projektphase!

Das ehrgeizige, aber unter Beibehaltung der aktuellen Leistung realistische Ziel ist es nun, bis Ende September 2025 alle Handschriften der Bibliotheca Amploniana zu digitalisieren.

Die IIIF-fähigen Digitalisate werden open access in der von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) Jena entwickelten Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha präsentiert. Interessierte aus aller Welt haben somit Zugang zu Digitalisaten in bester Qualität (400 bis 600 dpi). Einen regelmäßig aktuell gehaltenen Überblick über den Projektfortschritt bietet unsere Projektseite:
https://www.uni-erfurt.de/fileadmin/einrichtung/bibliothek/Bestand_Sammlungen/PDF_Dokumente/umfang_digitalisierung.pdf

Dep. Erf., CA 2° 96, Blatt 7 r: https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/ufb_derivate_00020096/CA-2-00096_0007.tif

 

Dr. Katrin Ott

 

Wortschatz Bibliothek. Heute: Fingerprint, der; -s

Bei der Aufklärung von Verbrechen werden Fingerabdrücke am Tatort aufgrund ihrer Einzigartigkeit zur Identifizierung und Überführung des Täters oder der Täterin benutzt.

Bei der Identifizierung Alter Drucke im Bibliothekswesen werden Fingerprints erstellt, indem Zeichen von definierten Seiten und Zeilen eines gedruckten Werks entnommen werden in Kombination mit dem Erscheinungsdatum und einer evtl. Bandangabe. So lassen sich unterschiedliche Druckausgaben und – varianten unterscheiden.

Gebräuchlich sind zwei Arten der Fingerprintmethode: der LOC- bzw. FEI-Fingerprint und der STCN-Fingerprint.

In der UB Erfurt wird die erste Ermittlungsmethode genutzt, bei welcher man auf typographische Unterschiede im Zeilenumbruch setzt. Grenzen hat sie, wenn Nachdrucke zeilenidentisch sind und bei Auflagen mit gleichem Erscheinungsjahr.

Wie funktioniert nun das Ganze?

Der Fingerprint wird aus 16 Zeichen gebildet, die in vier Gruppen stehen. Es werden dazu genommen

  • Gruppe 1: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenende) von der ersten bedruckten Vorderseite nach der Titelseite
  • Gruppe 2: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenende) von der vierten Vorderseite nach der zuvor verwendeten Vorderseite
  • Gruppe 3: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenende) der Vorderseite, welche der für die zweite Gruppe herangezogenen folgt und die korrekte Zahl 13, ersatzweise 17, trägt
  • Gruppe 4: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenanfang) der Rückseite der für die dritte Gruppe verwendeten Seite

Dazu kommen noch

  • ein Anzeiger für die Seite des Buches, der die dritte Zeichengruppe entnommen wurde: “3” für Seite 13, “7” für Seite 17 oder “C” bei fehlender oder falscher Zählung.
  • das Erscheinungsdatum (mit „A“ für arabische und „R“ für römische Zahlen) und
  • bei mehrbändigen Werken die Zählung des Bandes

Beispiel:

Die eindeutige Identifizierung mit Fingerprint ist nicht nur bei der Erschließung des eigenen Bestands hilfreich, sondern auch bei der Arbeit mit Alten Drucken aus anderen Bibliotheken.

Klingt kompliziert? Auch hier gilt: Übung macht den Meister!

Mehr Informationen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Fingerprint_(Bibliothekswesen)

https://wiki.obvsg.at/Katalogisierungshandbuch/ArbeitsunterlagenFEAlteDruckeALMA 

Andrea Langner

 

Öffentliche Podiumsdiskussion „Medizin im Mittelalter“

Seit Oktober 2019 werden die mittelalterlichen Handschriften der Bibliotheca Amploniana in einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt digitalisiert und wissenschaftlich erschlossen (vgl. den Lesezeichen-Beitrag vom 18.06.2020: https://www2.uni-erfurt.de/bibliothek/blog/neues-dfg-projekt-bibliotheca-amploniana-in-der-universitaetsbibliothek-erfurt/).

Im Rahmen dieses Projektes findet am 20. und 21. Oktober 2022 ein internationaler Workshop unter dem Titel “Exploring Medical Manuscripts of the Bibliotheca Amploniana. Prospects of Research and Cataloguing” statt (s. https://www.uni-erfurt.de/universitaet/aktuelles/veranstaltungskalender/eventdetail/exploring-medical-manuscripts-of-the-bibliotheca-amploniana-prospects-of-research-and-cataloguing)

In diesem Zusammenhang laden wir alle Interessierten sehr herzlich zu einer öffentlichen Podiumsdiskussion über „Medizin im Mittelalter“ am 20. Oktober um 20 Uhr ins Coelicum, Domstraße 10 ein:

Bei „Medizin im Mittelalter“ denkt man an Hildegard von Bingen, an Heilkräuter und Klostermedizin. Wie vielfältig die Beschäftigung mit Heilkunde damals war, ob es „die Medizin des Mittelalters“ überhaupt gab und was uns die handgeschriebenen Bücher aus dieser Zeit dazu erzählen können, darüber diskutieren in lockerer Atmosphäre Iolanda Ventura, Expertin für lateinische medizinische Literatur des Mittelalters, und Bernhard Schnell, Experte für mittelalterliche Medizin. Es moderiert Prof. Dr. Sabine Schmolinsky (Universität Erfurt).

Der Eintritt ist frei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Dr. Katrin Ott