Blick hinter die Kulissen – Tiefenerschließung in der Sondersammlung

In loser Folge stellen wir im „Lesezeichen“ Bibliotheks-Mitarbeiter*innen und deren Arbeitsbereiche vor, die normalerweise hinter den Kulissen verborgen bleiben – heute im Gespräch mit Sven-Philipp Brandt, der in der Sondersammlung mit Handschriften der Bibliotheca Amploniana arbeitet.

Sie arbeiten innerhalb eines DFG-Projekts in der Sondersammlung der UB Erfurt. Was ist das für ein Projekt, was ist Ihre Aufgabe dabei?

Das Projekt dient der Digitalisierung und Tiefenerschließung von Handschriften der Bibliotheca Amploniana, der Bibliothek des spätmittelalterlichen Gelehrten und Büchersammlers Amplonius. Mein Part ist es, einen Teil der digitalisierten Handschriften – genauer gesagt 118 mit medizinischen Inhalten – zusammen mit dem Leipziger Kollegen Dr. Marek Wejwoda tiefergehend zu beschreiben.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus?

Zunächst muss ich die Handschrift aus dem Tresorraum der Sondersammlung holen. Parallel dazu rufe ich die dazugehörigen Digitalisate am PC auf. Dann kann ich mit Hilfe beider Perspektiven die Erschließung beginnen. Für manches eignet sich das Digitalisat besser, manche Dinge kann man nur am Original erkennen.

Mit einer Handschrift beschäftige ich mich übrigens im Schnitt neun Tage.

Regelmäßig tausche ich mich auch mit den Kolleg*innen aus dem Leipziger Handschriftenzentrum aus, die am Projekt mitarbeiten; Stichwort „Schwarmintelligenz“.

Was wird bei der Tiefenerschließung alles beschrieben, wie gehen Sie vor?

Es geht nicht nur um die Frage, welchen Inhalt die Handschrift hat. Das Ziel ist es auch, ihre Geschichte zu rekonstruieren.

Viele Handschriften, die uns vorliegen kommen aus Norditalien und Südfrankreich. Indikatoren für die Zuordnung sind z.B. die Schrift und der Buchschmuck. In den Einbänden finden sich oft Fragmente aus anderen (damals nicht mehr benötigten) Handschriften oder Urkunden, die Hinweise auf die verschiedenen Stationen des Buches auf dem Weg in die Sammlung des Amplonius geben können.

Bei der Bearbeitung gehe ich von außen nach innen vor. Das heißt zunächst analysiere und beschreibe ich die Größe, den Erhaltungszustand und äußere Auffälligkeiten der Handschrift. Außerdem versuche ich herauszufinden, ob es parallele Texte gibt. Hinweise dazu kann man z.B. in späteren Drucken finden.

Und natürlich gehört es auch zu meinen Aufgaben, den Text bzw. den Anfang und das Ende zu transkribieren, also in unsere heutige Schrift zu übertragen, um sie für die Forschung identifizierbar zu machen.

Alle Ergebnisse der Untersuchung werden dann nach einem festen Schema in einem Textdokument zusammengefasst.

Wo wird man die Arbeitsergebnisse des Projekts sehen können?

Die Digitalisate der Handschriften sind über die Digitale Historische Bibliothek Erfurt/Gotha open access zugänglich. In der Handschriftendatenbank Manuscripta Mediaevalia sowie später im Handschriftenportal der deutschen Handschriftenzentren werden dann auch meine genauen Beschreibungen der jeweiligen Handschriften zu finden sein. Zusätzlich ist eine Veröffentlichung der Ergebnisse in gedruckter Form in einem so genannten Handschriftenkatalog geplant.

Wie kommt man zu dieser doch eher ausgefallenen Tätigkeit, welche Qualifikation bringen Sie mit?

Für die Handschriftenkunde gibt es keine spezifische Qualifikation. Die verschiedenen Wissenschaftler*innen, die sich mit Handschriften beschäftigen, kommen aus unterschiedlichen Richtungen und können sich so sehr gut ergänzen. Ich selbst habe Latein und Geschichte studiert. Schon während des Studiums war Medizingeschichte ein Forschungsthema für mich. Außerdem habe ich in dieser Zeit als Hilfskraft am Handschriften-Zentrum Leipzig gearbeitet und so schon im Studium erste Erfahrungen mit Handschriftenbeschreibungen sammeln können.

Vielen Dank für das Gespräch und den Einblick in Ihre „Detektivarbeit“.