Die Articella-Handschriften der Amploniana und ihre ‘französische‘ Herkunft

Bereits im letzten Blogbeitrag vom 17.11.2021 habe ich das Konvolut der Articella-Handschriften vorgestellt. Heute möchte ich daran anknüpfen und zeigen, welche Rückschlüsse und Interpretationsmöglichkeiten sich aus dem Konvolut für die Sammlungsgeschichte der Amploniana ziehen lassen.
Es ist sehr bemerkenswert, dass sieben der neun Articella-Kodizes der Sammlung aus dem südfranzösischen Raum stammen und nur je ein Exemplar aus Italien bzw. Paris. Das ist umso erstaunlicher, da in jener Zeit des 13. Jahrhunderts mit Salerno, Bologna und Padua vor allem italienische Städte in der medizinischen Lehre führend waren und die medizinische Fakultät in Bologna ihren Lehrplan sogar an der Articella ausgerichtet hatte. Im französischen Raum stach wiederum nur das im Süden gelegene Montpellier mit seiner 1220 gegründeten medizinischen Schule hervor, die 1289 in eine Universität umgewandelt wurde.
Doch wie kam es dazu, dass vor allem Articella-Handschriften aus Montpellier ihren Weg in die Amploniana fanden? Hierfür ist die Erforschung der Objektgeschichte hilfreich, mit der sich das aktuelle DFG-Projekt befasst. So lassen sich in den meisten dieser Handschriften Spuren finden, die eine Zwischenstation in Paris nahelegen.

Abb. 1: CA 2° 285 fol. Vorblatt IV r: Magister Johannes Chareton est un bon homme

Das reicht von der Nennung eines ausschließlich in Paris und Umgebung belegten Professors im Einband [Abb. 1] über einen Preisvermerk mit einer ausschließlich in Nordfrankreich gebräuchlichen Währung [Abb. 2] bis hin zu einer Kommentarhand, die sich einem gewissen Henricus Maltmyngher de Berka zuordnen lässt.

Abb. 2: CA 2° 264 fol. 237v: Radierter Preisvermerk, mit Quarzlampe zu erkennen: Libras Parisiensis, was auf den Livre Parisis als nordfranzösische Rechnungsmünze verweist, vgl. Kroha, Großes Lexikon der Numismatik, s.v. Livre.

Und genau dieser Henricus könnte auch der Schlüssel für dieses Herkunftsrätsel sein: Er war zunächst als Schreiber für Amplonius tätig, nahm schließlich 1394 unter dem Rektorat des Amplonius in Erfurt sein Studium auf und führte dies unter dessen Rektorat in Köln weiter fort. Im Jahr 1401 wechselte Henricus dann für einige Jahre an die Universität Paris und war dort unter anderem Prokurator für die englisch-deutsche Nation. Da er in der Handschrift CA 4° 319 das Haus als Amplonius als seine Arche, seinen geborgenen Rückzugsort, bezeichnet und auch einige Bücher der Amploniana nachweislich aus dem Vorbesitz des Henricus stammen, scheint er über die Jahre ein sehr enges Verhältnis zu seinem Förderer Amplonius gepflegt zu haben. Es wäre daher durchaus denkbar, dass eben jener Henricus für Amplonius und seine beabsichtigte Stiftung die Anwesenheit in Paris nutzte, hochwertige Articella-Handschriften als kleine Lehrbuchsammlung für Amplonius anzukaufen. Möglich wäre auch, dass Amplonius nach dem frühen Tod des Henricus dessen Bibliothek übernahm und dort eben aus der Pariser Zeit neben einigen anderen Kodizes auch diese Articella-Bände übernahm.
Bliebe abschließend noch zu klären, weshalb so viele Handschriften von Montpellier nach Paris kamen: In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts wurde Montpellier immer wieder von verheerenden Seuchen heimgesucht, sodass sich die Bevölkerungszahl in dieser Zeit um ein Drittel reduzierte. Diese wiederkehrenden Epidemien sorgten für einen Abwanderung fachkundiger Personen nach Paris, die auf diesem Wege auch zahlreiche medizinische Schriften mit nach Paris nahmen und so auch für Amplonius und sein Umfeld zugänglich machten.

Autor: Sven-Philipp Brandt

Ein hebräisches Unikat in der UB? Eine Fachreferentin auf Spurensuche

Ein hebräisches Unikat in der UB? Eine Fachreferentin auf Spurensuche

Bücher, die nicht in einem Bibliothekskatalog (etwa OPAC oder Discovery) verzeichnet sind, sind verlorene Schätze, denn sie können nicht gefunden werden: Niemand weiß, dass es sie in dieser Bibliothek überhaupt gibt. Deshalb muss jeder Schatz einzeln gehoben, jedes Buch gesondert identifiziert, also „erschlossen“ und katalogisiert werden, und das kann mitunter zur Detektivarbeit werden, wie das folgende Beispiel zeigt:

Auf dem Schreibtisch der Fachreferentin für Theologie landete ein Buch, das im Zuge der Integration der Bibliothek des Erfurter Priesterseminars (Bibliotheksstempel „Kath. Priesterseminar Erfurt“) in die Universitätsbibliothek Erfurt gelangt war. Laut Besitzstempel hatte es dem Einbecker Oberlehrer Dr. Otto Adolf Ellissen (1859-1943; https://comdeg.eu/artikel/94740/; Besitzstempel) gehört, rein zeitlich gesehen könnte es sein Vater, der Philologe und Neogräzist Adolf Ellissen (1815-1872), erworben haben. Ob einer von beiden in andächtiger Nutzung des Buches auch die Kupferstichillustration von Rudolf Schäfer (1878-1961) auf das Vorsatzblatt gegenüber dem Titelblatt eingeklebt hat mit dem Thema „Jesus segnet die Kinder“/“Lasset die Kinder zu mir kommen“ (Mt 19,13-15; Mk 10, 13-16; Lk 18, 15-17; http://www.iconclass.org/rkd/73C7224/)?

Auf welchen Wegen genau das Buch in die Bibliothek des Priesterseminars Erfurt gelangte, konnte bisher nicht geklärt werden, vermutlich geschah dies aber im Jahr 1954, denn darauf deutet die Zugangsnummer „Z 54/1942“ hin (Analogien aus dem Bestand zeigen, dass 1942, obwohl es nach einer Jahreszahl aussieht, nicht das Zugangs-Jahr ist – zumal das Priesterseminar zusammen mit dem „Philosophisch-theologischen Studium“ Erfurt erst 1952 eingerichtet wurde; die Signaturen „Ex nT 357“, „/A 55“ [getilgt] sowie „A 26“ stammen ebenfalls aus der Bibliothek des Priesterseminars, auch dazu gibt es Analogien). Eventuell in diesem Zusammenhang erhielt das Buch den Einband mit der Aufschrift „Hebräische Übersetzung der 4 Evangelien“ (Blinddruck), vielleicht auch den handschriftlichen Eintrag „Hebräische Übersetzung der 4 Evangelien von Franz Delitzsch 1865“.

Allerdings führt dieser handschriftliche Vermerk in die Irre: Die Ausgabe von Franz Delitzsch (1813-1890) erschien erst ab 1877 (http://www.jstor.org/stable/527278). Die Jahreszahl 1865 ist aber Teil der gedruckten Titelseite des vorliegenden Buches (sogar zusätzlich versteckt in den mit Punkten versehenen hebräischen Buchstaben in der letzten Zeile vor der Jahreszahl, vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hebr%C3%A4ische_Zahlschrift), bleibt also eine fest gesetzte Größe, von der man ausgehen muss.

Wenn die Buchausgabe also nicht von Franz Delitzsch stammt: Wer könnte 1865 eine hebräische Übersetzung der Evangelien herausgegeben haben? Erstaunlicherweise gibt es einen (englischsprachigen) Wikipedia-Artikel über Bibelübersetzungen ins Hebräische, der für dieses Jahr eine Ausgabe von Ezekiel Margoliouth aufführt. Allerdings steht dort auch: „This is the only complete cantillated translation of the New Testament.” Aus zwei Gründen kann das vorliegende Buch also nicht Ezekiel Margoliouths Ausgabe sein: Es handelt sich lediglich um die vier Evangelien, nicht um das ganze Neue Testament. Und: Die Ausgabe ist nicht „cantilliert“, also mit einer speziellen Notation versehen, die Hinweise für den Gesang im Synagogengottesdienst gibt (wie etwa in einer späteren Ausgabe von Margoliouth [1923] zu sehen ist: https://vineofdavid.ffoz.org/remnant-repository/ezekiel_margoliouth/).

Dennoch hilft der Wikipedia-Artikel weiter, gibt er doch den Hinweis auf die „London Jews‘ Society“, deren Missionar Ezekiel Margoliouth war. Die 1809 gegründete „London Jews’ Society“, die zeitweilig auch den Namen „London Society for Promoting Christianity Amongst the Jews” trug, hatte ab 1813 eine mehrfach revidierte hebräische Übersetzung des Neuen Testaments herausgegeben (1813-1816; 1838; 1864)[1]. An der ersten Übersetzung[2] nahm Franz Delitzsch, der ja von einem Vorbesitzer des vorliegenden Buches (womöglich, weil er keine andere kannte) als Urheber der enthaltenen Ausgabe verstanden wurde, Anstoß, da sie „in sprachlicher Korrektheit vieles zu wünschen übrig liess“ (s. http://www.jstor.org/stable/527278, 226) und fertigte eine eigene an, die, wie gesagt, ab 1877 in mehreren Auflagen erschien. Franz Delitzsch war als evangelisch-lutherischer Theologe Professor für Altes Testament und in diesem Zusammenhang ein hervorragender Hebraist. Seine Motivation für die Übersetzung des ganzen Neuen Testaments ins Hebräische war, neben dem sprachlichen Interesse, die Judenmission[3] — genau wie die der „London Society for Promoting Christianity Amongst the Jews”, wie der Name schon sagt.

Die dritte, durch die Society veranlasste Übersetzung (seit 1864) hatte Johann Christian Reichardt (geb. 1803) zu verantworten, wahrscheinlich in Zusammenarbeit mit Ezekiel Margoliouth und Joachim Heinrich Raphael Biesenthal. In der Einführung einer Ausgabe, die die Versionen von 1838 und 1864 vergleichend gegenüberstellt, heißt es: „Le 21 avril 1865, on fait imprimer 2.000 exemplaires in-32 des quatre Evangiles, selon la nouvelle version.”[4] Könnte dies die vorliegende Ausgabe sein? Wo wären dann die anderen 1.999 Exemplare? Leider scheint es auf der ganzen Welt kein weiteres Exemplar dieser Ausgabe mehr zu geben, mit dem man das Vorliegende vergleichen kann – zumindest ist es bisher von keiner Bibliothek katalogisiert … womit wir wieder beim Eingangsthema wären!

Ich danke Susanne Küther (Institut für die Geschichte der deutschen Juden), Dr. André Junghänel (Bayerische Staatsbibliothek), Prof. Dr. em. Georg Hentschel, Dr. Michael Matscha (Bistumsarchiv Erfurt) sowie Thomas Bouillon und Holger Schultka für ihr Interesse, ihre Hinweise und den fruchtbaren Austausch!

Anmerkungen:

[1] Vgl. The four Gospels Translated into Hebrew by the London Society for Promoting Christianity amongst the Jews (1838+1864), Introduction par Jean Carmignac, Traductions hébraïques des Evangiles rassemblées par Jean Carmignac (Turnhout, Belgien: Brépols, 1985); W.T. Gidney, The history of the London Society for promoting Christianity amongst the Jews, from 1809 to 1908 (London: London Society for promoting Christianity amongst the Jews, 1908).

[2] Gustaf Dalman, “Das Hebräische Neue Testament von Franz Delitzsch,” Hebraica 9, No. 3/4 (1893) 226–231, 226: http://www.jstor.org/stable/527278.

[3] Er gründete 1871 den „Evangelisch-Lutherischen Centralverein für Mission unter Israel“ – welcher heute der „Evangelisch-lutherische Zentralverein für Begegnung von Christen und Juden“ ist, denn die Judenmission wird heute aus verschiedenen Gründen kritisch gesehen (https://de.wikipedia.org/wiki/Judenmission).

[4] Vgl. The four Gospels Translated into Hebrew by the London Society for Promoting Christianity amongst the Jews, S. XXVII.

Die Articella-Handschriften der Amploniana: Eine mittelalterliche Lehrbuchsammlung

An den Universitäten des Mittelalters gab es für das Medizinstudium eine Sammlung medizinischer Texte, die im späten 11. Jahrhundert im italienischen Salerno entstand und sich von dort aus als zentrales Lehrbuch an den medizinischen Fakultäten in Westeuropa ausbreitete. In diesem Lehrbuch wurden kleine zentrale medizinische Texte gesammelt, die überwiegend aus der Antike stammten und auch bereits in jener Zeit von anderen Medizinern kommentiert wurden. So gehörten zu diesem Kanon zunächst drei Werke aus dem Corpus Hippocraticum, die der römische Arzt Galen kommentiert hatte. Am bekanntesten dürften hier wohl die Aphorismen des Hippokrates sein, bei denen es sich um 422 medizinische Sentenzen handelt und die in den Articella-Handschriften stets mit dem auch aus Goethes Faust bekannten Satz Vita brevis, ars vero longa beginnen („Das Leben ist kurz, die Kunst der Wissenschaft aber ist von Dauer“; im Original übrigens: Ὁ μὲν βίος βραχύς, ἡ δὲ τέχνη μακρά).

Doch wie bei modernen Lehrbuchsammlungen entwickelte sich auch dieser kleine medizinische Kanon weiter. Einerseits wurden die Articella-Handschriften mit weiteren nützlichen Texten wie dem Werk De urinis des Theophilos erweitert, das sich der Auswertung des Urins von Kranken widmete – einst eine wichtige medizinische Praxis, die sich in zahlreichen Darstellungen mit Harnschauglas in mittelalterlichen Handschriften niederschlägt [Abb. 1]. Andererseits wurden auch die Texte selbst weiter kommentiert, sodass sich bald ‚kommentierte Kommentare‘ in den Handschriften fanden. Diese Entwicklung geschah vor allem in der Mitte des 13. Jahrhunderts, woraus sich zwei Arten der Articella-Handschriften herausbildeten: Die älteren wurden bereits im Mittelalter ars medica benannt, während die späteren durch ihren größeren Kommentaranteil als ars commentata abgegrenzt wurden.

Abb. 1: Hippocrates mit Harnschauglas (CA 2° 246, fol. 53r)

Diese historische Entwicklung der ‚Articella-Lehrbuchsammlung‘ lässt sich auch in der Amploniana nachvollziehen und verrät gleichzeitig etwas über die Sammlungsgeschichte: Von den neun Articella-Handschriften der Amploniana lassen sich zwei der ‚alten Auflage‘, der ars medica zuordnen, während die anderen sieben Handschriften bereits der ars commentata zugerechnet werden können. Auffallend sind hier vor allem die beiden älteren Kodizes, von denen die CA 2° 246 durch besonders ausgestaltete Initialen auffällt und die CA 2° 266a bereits kurz nach der Abfassung eine intensive Überarbeitung erfahren hat.

Allerdings sind diese beiden Handschriften nicht die ältesten Articella-Handschriften in der Amploniana. Denn während sich beide mit Hilfe von Schrift- und Buchschmuckvergleichen eindeutig in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts datieren lassen, existiert mit der CA 2° 285 noch eine deutlich ältere Articella-Handschrift in der Sammlung. Durch ein Kolophon, einen Vermerk des Schreibers mit Datumsangabe, gilt diese Handschrift als weltweit älteste, datierte ars commentata aus dem Jahr 1270. Demnach existierte die ‚neuere‘ Version der Amploniana bereits 50 Jahre, bevor die ‚älteren‘ Abschriften überhaupt abgeschrieben wurden.

Doch wieso schrieb man eine ‚alte Auflage‘ ab? Hierfür gibt es verschiedene Erklärungen: Die CA 2° 246 mit ihrem außergewöhnlich schönen Buchschmuck und ihrer Fokussierung auf die drei grundlegenden Hippokratestexte dürfte eher einen repräsentativen Charakter für den Auftraggeber gehabt haben. Erst später wurde sie offensichtlich auch fürs Studium verwendet, was vor allem die vielen Anmerkungen aus dem 15. Jahrhundert zeigen. Bei der CA 2° 266a fand bereits kurz nach der Abschrift eine gründliche Überarbeitung statt [Abb. 2].

Abb. 2: Neben dem Haupttext finden sich zahlreiche Kommentare mit einer sehr ordentlichen, aber sehr kleinen Schrift von lediglich 1 mm Höhe, CA 2° 266a 1r.

Offensichtlich hat hier ein Student eine alte Auflage erwischt, wie manche Studierende es ja auch heute noch kennen, wenn sie sich ein Lehrbuch im Antiquariat beschaffen. Der mittelalterliche Student wusste sich aber dahingehend zu helfen, dass er das Buch gegen eine Zahlung von sex vallodia entsprechend überarbeiten und so zu einer ars commentata werden ließ.

Autor: Sven-Philipp Brandt

Unterwegs in Werkstätten und Museen: warum wertvolle Handschriften und Drucke ihr Zuhause verlassen

Gart der Gesundheit (I. 4° 354): Walderdbeere

Für WissenschaftlerInnen und Studierende aus der Universität Erfurt und dem In- und Ausland ist der Altbestand der Universitätsbibliothek mit seinen wertvollen Alten Drucken, Inkunabeln und Handschriften eine Fundgrube an bedeutenden Texten. Diese können vor Ort gelesen und untersucht werden oder als Reproduktionen für den wissenschaftlichen Gebrauch bestellt werden. Im Zuge unseres Digitalisierungsprojekts ist auch der Zugriff auf die zunehmende Anzahl von Digitalisaten ein wichtiger Service für alle Interessierten, die von fern auf die Scans zugreifen wollen.
Unsere Altbestände können ausschließlich in den klimatisierten Räumlichkeiten der UB genutzt werden. Außer Haus gehen sie nur für Restaurierungsmaßnahmen und Ausstellungszwecke. In ersterem Fall werden Schäden an Einband, Papier bzw. Pergament behoben oder sogar umfangreiche Sicherungen von Farbaufträgen vorgenommen. In letzterem Fall unterstützen wir Bibliotheken, Museen oder ähnliche Einrichtungen mit Leihgaben aus unserem Bestand.
Allein in diesem Jahr haben wir zwei Ausstellungen mit Leihgaben bereichert: für die Ausstellung „Blühstreifen – Zwischen Traum und Zaun. Gärten im Fokus der Kunst“, die in der Kunsthalle Erfurt anlässlich der BUGA 2021 stattfand, stellten wir zwei Inkunabeln – „Gart der Gesundheit“ (I. 4° 354) von vor 1498 und eine deutschsprachige Bibel mit einer Paradiesdarstellung (I. 4° 336) von 1485 – zur Verfügung. Zu sehen war auch ein Werk Christian Reicharts, dem aus Erfurt stammenden Begründer des deutschen Gartenbaus.

Eine andere Handschrift trat eine weitere Reise an. Im Roemer- und Pelizaeus-Museum Hildesheim wird die Amplonianische Handschrift CA 4° 193 mit dem Pariser Pestgutachten „Compendium de epidemia“ ausgestellt und ist ein wichtiger Beitrag zur Sonderausstellung „Seuchen – Fluch der Vergangenheit, Bedrohung der Zukunft”.

Aufgrund der langen Ausstellungsdauer wird diese Handschrift durch zwei weitere abgelöst, da selbst unter hervorragenden konservatorischen Bedingungen die sensiblen Handschriften nur begrenzte Zeit gezeigt werden können.

Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit für einen Besuch in dieser spannenden Ausstellung!

 

Makulatureinbände – vom Handschriftenrecycling

Mit dem Begriff „Makulatur“ (von lat. Macula: Fleck, Schandfleck, Makel) wird nicht mehr benötigter, wertlos gewordener bedruckter (Altpapier) oder von Hand beschrifteter (zumeist Pergament) Beschreibstoff bezeichnet.
An Makulatureinbänden in Archiven und Bibliotheken finden sich oftmals beschriftete, manchmal auch abgekratzte und abgewaschene Pergamentbögen.

Mit der Verbreitung des Buchdrucks wurden mittelalterliche Handschriften, die aus Pergament bestanden, vielfach als wertlos betrachtet und zur Bindung bzw. Verstärkung des Buchblocks neuer Bücher genutzt. Das hatte einen guten Grund: Pergament war ein teures Material, dazu biegsam, relativ reißfest und haltbar.
Auch im Altbestand historischer Drucke in der UB Erfurt finden sich zahlreiche Makulatureinbände, die vor einigen Jahren von Bibliothekar*innen teilweise erfasst und untersucht worden sind.

Mit Unterstützung einer Praktikantin sind wir nun bei der Erfassung und Digitalisierung ein großes Stück vorangekommen: Nicole Hartmann studiert im 6. Semester im Hauptfach Germanistik und im Nebenfach Anglistik. Derzeit schreibt sie an ihrer Bachelorarbeit. In ihrem Praktikum sah sie die Chance, „mit Büchern zu arbeiten und dabei sogar die Verantwortung für historische Bände zu bekommen.“
„Meine Hauptaufgabe bestand im Scannen und Digitalisieren sogenannter Makulatureinbände. Damit sind Bücher gemeint, die mit anderen Werken eingeschlagen wurden. Hierbei sind nicht die Bücher und ihr Inhalt wichtig, sondern die genutzten Umschläge. Mit diesen Aufnahmen wollte die UB eine Grundlage zur Digitalisierung und Veröffentlichung der Makulaturbände schaffen.“

Frau Hartmann verglich die Einträge in verschiedenen Listen und Karteien auf Vollständigkeit und scannte die Makulatureinbände von 344 alten Drucken. Dabei war das Scannen nicht immer einfach: sowohl das Alter der Bücher als auch der jeweilige Erhaltungszustand verlangten viel Fingerspitzengefühl, um möglichst gute Reproduktionen zu erhalten.

„Die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht und die Handhabung der alten Schriften war ein echtes Highlight für mich. Das Praktikum in der UB war eine gute Möglichkeit, um erste Erfahrungen für ein mögliches späteres Berufsfeld zu sammeln. Die Liebe zu Büchern eröffnet viele verschiedene Wege im Leben und die Arbeit mit Historischen Beständen ist auf jeden Fall etwas Außergewöhnliches.“

Von Blattweisern und anderen Lesezeichen

Wer kennt das nicht – mitten im Lesevergnügen muss man das Buch aus der Hand legen und möchte gern eine Stelle im Text markieren, um ohne großes Suchen weiter zu lesen. Glück hat, wer auf ein mehr oder weniger stilvolles Lesezeichen zurückgreifen kann; notfalls tut es eine Postkarte, ein Notizzettel oder ähnliches.

Wer in einer Bibliothek arbeitet, kann ein Lied davon singen, was in entliehenen Büchern als Lesezeichen benutzt worden ist und hat schlimme Beispiele vor Augen. Auch unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Sondersammlung konnten verschiedenste „Merkwürdigkeiten“ in den historischen Drucken entdecken und haben eine kleine Sammlung mit Fundstücken angelegt. Folgende Lesezeichen möchten wir zeigen: Rückgabequittungen, Buntpapierstücke, handschriftliche Vermerke, Werbeanzeigen, Fahrkarten und mit viel Sorgfalt und Fantasie gebastelte Objekte. Nicht gezeigt werden können gepresste Pflanzen, die schon zu fragil für Aufnahmen waren.

Aber auch in den historischen Drucken selbst wurden bei der Fertigstellung des Bandes oftmals sogenannte Blattweiser angebracht, meistens um bestimmte Abschnitte im Buch oder z.B. Bibelstellen dauerhaft zu markieren. Es handelt sich um Plättchen oder Kügelchen, sie bestanden aus Papier, Leder, Pergament oder auch Metall, wie man an dem Band „Sermones de aduẽtu …“ (Signatur: UB Erfurt, Dep. Erf., 6-Tp. 8° 2662) erkennen kann.