Urheberrecht − ein Buch mit sieben Sigeln?

Wie viele Seiten aus einem Buch darf ich kopieren? Was muss ich beachten, wenn ich in einem Seminar „fremdes Material“ verwenden möchte? Was meinen Begriffe wie „Unterrichtsschranke“ oder „Open-Source-Lizenz“?

Immer wieder werden im Uni-Alltag urheberrechtliche Fragen berührt. Oft herrscht große Unsicherheit, was erlaubt bzw. nicht erlaubt ist.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat im Juli 2023 eine überarbeitete Broschüre mit dem Thema „Urheberrecht in der Wissenschaft“ veröffentlicht.

Darin werden typische Fragen zum Urheberrecht für Lehre und Forschung beantwortet – sowohl bei der Verwendung von Werken Dritter als auch bei der Veröffentlichung eigener Werke.

Die Broschüre kann hier heruntergeladen werden. Einen ersten Einstieg in das Thema bieten auch die Seiten der Bibliothek.

Marion Herzberg

Basiswissen Lizenzen für digitale Medien

Verträge sind bekanntlich einzuhalten. Lizenzen für digitale Medien sind solche Verträge. Sie werden von Bibliotheken mit den Anbietern abgeschlossen. Diese Lizenzverträge müssen nicht nur von denjenigen eingehalten werden, die sie miteinander abschließen, sondern vor allem von denjenigen, für die sie gemacht werden. Deshalb hier in Kurzform das Wichtigste für alle Nutzer*innen digitaler Angebote:

Was ist eine Lizenz?

Lizenz bedeutet Erlaubnis. Lizenzen für digitale Medien sind Schriftstücke, in denen geregelt ist, was Nutzer*innen dieser Medien dürfen und was sie nicht dürfen. Immer erlaubt ist eine Nutzung zu persönlichen, wissenschaftlichen Zwecken; ein absolutes No Go ist die gewerbliche Nutzung.

Die konkrete Ausgestaltung der Lizenzen hinsichtlich des angebotenen Nutzungskomforts ist sehr vielfältig. In aller Regel sind das Durchsuchen des digitalen Inhalts, das Herunterladen oder Ausdrucken mengenmäßig unerheblicher Ausschnitte desselben und natürlich das Zitieren aus demselben gestattet. Der gleichzeitige Zugriff einer unbegrenzten Anzahl von Nutzer*innen, der Zugriff von jedem denkbaren Aufenthaltsort der zugelassenen Nutzer*innen aus, die Analyse und Aufbereitung der Daten zu Forschungszwecken (Text and Data Mining) oder das Herunterladen mengenmäßig unerheblicher Teile in digitale Lernumgebungen werden nicht in allen Fällen gewährt.

Das ist erst einmal unübersichtlich, aber nicht der letzte Stand der Dinge. Das Urheberrechtsgesetz in seiner aktuellen Fassung sorgt hier bis zu einem gewissen Grad für Klarheit und definiert Standards.

Wo das Urheberrecht (ein)greift

Das Urheberrechtsgesetz (UrhG) ist medienneutral und umfasst sowohl gedruckte als auch digitale (und noch weitere) Medienformate. In den §§ 60a, 60c und 60d finden sich klare Aussagen zu den Nutzungsrechten Vervielfältigung, Verbreitung und Schaffung öffentlicher Zugänge – konkret bezogen auf die genannten Zwecke aus den Bereichen Forschung, Lehre und Unterricht.

So dürfen Nutzer*innen selbsttätig 75% eines digitalen Produkts für ihren persönlichen, wissenschaftlichen Gebrauch herunterladen oder ausdrucken, jedoch nur 15% davon bzw. ein Kapitel oder einen Aufsatz daraus mit einzelnen anderen Nutzer*innen teilen. Text and Data Mining wird erlaubt, ist aber zeitlich auf die Dauer des dahinterstehenden wissenschaftlichen Projekts beschränkt. 15% einer digitalen Ressource dürfen sie auch in digitale Lernumgebungen einspeisen, sofern der Zugang zu den einzelnen Lernräumen kontrolliert wird.

Die Bezifferung der in den Lizenzen nicht näher definierten mengenmäßig unerheblichen Teile schafft Klarheit und damit Sicherheit.  Alle Unklarheiten beseitigt das UrhG jedoch nicht. Das hängt damit zusammen, dass die genannten §§ für noch bestehende Lizenzverträge, die vor dem 1.3.2018 geschlossen worden sind, keine Gültigkeit haben. Was nun?

 Resümee – alltagstauglich

Natürlich kann niemand wissen, wann welche Lizenz mit welchem Anbieter abgeschlossen wurde, oder anders herum, ob das Urheberrecht nun greift oder nicht. Wer seine Bibliothek etwa aus Zeitgründen nicht fragen möchte oder kann, ist gut beraten, wenn

  • er oder sie sich an das im Urheberrechtsgesetz definierte Mengengerüst hält: zum Beispiel Weiterleitung von höchstens 15%  einer elektronischen Ressource oder einem Kapitel bzw. Aufsatz daraus an einzelne Kolleg*innen oder Mitarbeiter*innen.
  • er oder sie darauf verzichtet, Originalausschnitte einer elektronischen Ressource in einen digitalen Lernraum einzuspeisen, und stattdessen per Link auf diese Ressource verweist.

Das Patentrezept für Text and Data Mining lautet jedoch auf Nachfrage bei der anbietenden Bibliothek, welche dann in ihren Unterlagen nachsieht und das Go erteilt oder die Anfrage an den Provider weiterleiten muss.

Neu gefasste Textabschnitte im Urheberrecht

Zum 1. März 2018 tritt eine Änderung des Urheberrechts in Kraft, welche bisherige Schrankenbestimmungen – gemeint sind besondere Nutzungsrechte in den Bereichen Unterricht, Wissenschaft und Bildung – präzisiert bzw. aus der analogen Welt in eine digitale trägt.

Bibliotheken wissen nun, in welchem Umfang sie urheberrechtlich geschützte Inhalte in digitale Dienstleistungen, etwa elektronische Semesterapparate oder Lernplattformen, einbinden dürfen – sofern bestehende Lizenzverträge keine anderslautenden Bestimmungen enthalten. Die Bibliotheken dürfen nunmehr auch vergriffene, zerstörte oder technisch nicht mehr nutzbare Inhalte zu Zwecken der Bestandserhaltung digitalisieren lassen.

Der Gesetzgeber hat die Novellierung unter den Vorbehalt einer Evaluierung nach vier Jahren gestellt und die Gültigkeit der neuen Bestimmungen auf den 1.3.2023 befristet.

Weitere Informationen: Urheberrechts-Wissensgesellschaftsgesetz (UrhWissG)

Nicht trivial

ist die Materie, die alljährlich auf der Göttinger Urheberrechtstagung verhandelt und diskutiert wird.

Auch in diesem Jahr war nahezu allen Fachvorträgen zu entnehmen, dass das Urheberrecht beispielhaft für Wege und Umwege staatlicher Regulierung in einer globalisierten Welt steht: So ist die vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung immer wieder aufzugreifende Urheberrechtsproblematik sowohl zwischen den Polen Gesetzgeber und Gericht sowie auf internationaler, europäischer und nationaler (deutscher) Ebene zu verorten.

Grundsätzlich geht es darum, den Markt zu regulieren, das Vertragsrecht zu ergänzen, ggf. zu korrigieren. Die nicht abnehmende Komplexität der Materie und die Verankerung auf mehreren Ebenen führen einmal dazu, dass Regulierungen immer weniger vom Gesetzgeber ausgehen und in der Folge immer stärker Gegenstand “richterlicher Rechtsfortbildung” werden. Problemlösungen werden von Fachgerichten, dem Bundesverfassungsgericht bzw. dem Europäischen Gerichtshof erwartet.

In der skizzierten Gemengelage sind zum anderen unterschiedliche Geschwindigkeiten der Akteure auf den verschiedenen Ebenen an der Tagesordnung: So wurde die Befürchtung geäußert, dass künftige Vorlagen und Verordnungen aus Brüssel hinter dem mit der Urheberrechtsnovellierung in Deutschland erreichten Stand der Berücksichtigung allgemeiner gesellschaftlicher Interessen zurückbleiben und ein Rückwärtsbuchstabieren der zum 1.3.2018 in Kraft tretenden Novelle erforderlich machen könnten.

Auch E-Lending und Vergriffene Werke sind Beispiele für divergierende Traditionen und Herangehensweisen in Brüssel und Berlin: Der EUGH hat E-Lending auf der Basis one copy – one user bestätigt, für den deutschen Kontext sind die Beantwortung der Frage nach der Herleitung des Vergütungsanspruchs des Rechteinhabers aus dem Erschöpfungsgrundsatz oder einer Schrankenregelung nach europäischem Muster sowie die Möglichkeit der Einbeziehung der Verleger in den Genuss der Vergütung wichtig. Im Fall der digitalen Bereitstellung Vergriffener Werke mahnt der EUGH an, dass die Rechteinhaber individuell informiert werden müssen; die Verzeichnung des Werks beim Deutschen Patent- und Markenamt und die Möglichkeit der Einsichtnahme durch die Rechteinhaber reichen nicht aus.

Fazit: Wie schon gesagt, alles nicht so einfach. Aber eine lohnende und immer wieder neue Herausforderung für Rechteinhaber, Rechtsanwälte, Lobbyisten, Gesetzgeber und Richter.