Sankt Martin in zweifelhafter Gesellschaft

Zu den wichtigsten historischen Beständen der Stadtbibliothek Erfurt, die sich heute als Depositum in der Universitätsbibliothek befinden, gehören die fast 4000 Bände, die Philipp Wilhelm Graf von Boineburg (1656–1717), kurmainzischer Stadthalter in Erfurt, der Universität geschenkt hatte. Unter den ernsthaften theologischen und historischen Werken ragt ein Bändchen (3-Lp. 8° 220) mit dem unschuldigen Titel ‚Coloqvio de las damas‘ heraus. Hierbei handelt es sich um die spanische Übersetzung der Ragionamenti des italienischen Humanisten Pietro Aretino (1492–1556) – Dialogen, in denen diskutiert wird, ob das Klosterleben, die Ehe oder das ‚horizontale Gewerbe‘ für Frauen das Beste sei und die Wahl auf letzteres fällt.

In scharfen Kontrast zu diesem anrüchigen Text steht der Einband. Da Pergament ein kostbares Material ist, war es seit dem Mittelalter üblich, nicht mehr gebrauchte Pergamenthandschriften zu zerschneiden und für Einbände zu verwenden. Oft sind das nur kleine Fragmente, doch besitzt die UB Erfurt über 500 Bände, in denen, wie hier, der Einband mit solcher ‚Makulatur‘ überzogen ist.

In diesem Fall handelt es sich um ein Fragment aus der Lebensbeschreibung des Heiligen Martin von Sulpicius Severus, die um das Jahr 400 verfasst worden war. Da der Text gut bekannt ist, war es möglich, Lücken, die durch das Zuschneiden des Pergaments und verschiedene aufgeklebte Zettel entstanden waren, zu überbrücken. Eine Abschrift und Übersetzung des Textes können unter diesem Link gelesen werden.

Mit einem Fragment alleine kann man oft wenig anfangen. Jedoch wäre es durchaus möglich, dass der Buchbinder, der dieses Bändchen gebunden hatte, noch andere Teile der gleichen Handschrift für Bücher verwendete, die heute in ganz anderen Sammlungen aufbewahrt werden. Daher wurde vor einigen Jahren ein digitaler Katalog solcher Fragmente begonnen – es wäre zu hoffen, dass hier in Zukunft auch die Fragmente aus Erfurter Beständen erfasst werden könnten.

Neue Auszubildende in der UB

Am 1. September begann für Jessica Tonn die dreijährige Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste. Dies ist ein möglicher Weg für ein späteres „bibliothekarisches Leben“. Auch wenn ein häufiger Grund für die Berufswahl unserer Azubis die Liebe zum Lesen ist, kommen sie doch im Ausbildungsalltag selten dazu, in Büchern zu schmökern. Wie so vieles Andere hat auch dieses Berufsbild einen starken Wandel hin zur Technisierung erfahren.
Neben der praktischen Ausbildung in unserer Bibliothek erhält Frau Tonn das theoretische Wissen für ihren Beruf in der Berufsschule in Sondershausen. Während interessanter Praktika, so in einer Buchhandlung, in einer Stadtbibliothek oder in einem Archiv, wird sie viele zusätzliche Erfahrungen sammeln können.

Wir wünschen Frau Tonn und unseren anderen Auszubildenden einen guten Start in das neue Ausbildungsjahr und viel Freude an ihrem gewählten Beruf.

Prominentes Geburtstagskind

Frühere Schülergenerationen kannten seine Lebensdaten auswendig. Heute würde er 270 Jahre alt: Johann Wolfgang von Goethe (28. August 1749 – 22. März 1832).

Sein Geburtstag soll Anlass sein, mal in der UB nach dem berühmten Autor zu suchen.

Selbstverständlich gibt es eine Vielfalt an gedruckten Ausgaben seiner Werke und noch viel mehr Sekundärliteratur. In unserer Klassifikation RVK (Systematik, nach der unser Bestand erschlossen bzw. im Lesesaal aufgestellt ist) ist für Goethe eine eigene umfangreiche Gruppe vorgesehen.

Doch auch bei unserem digitalen Angebot wird man fündig, exemplarisch seien hier genannt die Weimarer Goethe-Bibliographie oder für weitreichende Informationen über Goethe und die Kunst und Kultur der Goethezeit das Goethezeitportal.

Und wer sich bei der Klassiker-Lektüre zu sehr an anstrengenden Deutschunterricht erinnert fühlt, der kann vielleicht mit einer Nacherzählung für Kinder einsteigen, z.B. Götz von Berlichingen.

Bildquelle: www.sammlung.pinakothek.de (Josef Karl Stieler),
Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Toni Morrison in der Bibliothek

Am 5. August verstarb in New York die amerikanische Schriftstellerin und Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison. Ihre Werke sowie umfangreiche Sekundärliteratur finden Sie im ersten Stock der Bibliothek unter der Signatur          HU 4570. Auch die Verfilmung von Beloved (Menschenkind) mit einer beeindruckenden Oprah Winfrey in der Hauptrolle kann entliehen werden. Zu den Themen, die im Werk von Toni Morrison immer wieder an zentraler Stelle stehen, hat die Bibliothek ebenfalls einen umfangreichen Bestand:

 

 

Die ruhige Semsterpause bietet sich an, um einmal direkt an den Regalen zu schauen, sich zu informieren und Interessantes auszuleihen.

Gestrandet vor 300 Jahren

Wer kennt sie nicht, die Figuren des Schiffbrüchigen Robinson Crusoe und seines Gefährten Freitag. Im Mai 1719 wurde der vermutlich erfolgreichste Roman der Welt erstmals veröffentlicht und machte seinen Autor schon damals schnell bekannt. Aus heutiger Perspektive müssen viele Ausführungen in The Life and Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe sicherlich aus einem historischen Blickwinkel betrachtet werden. Daniel Defoe (ca. 1660 – 1731) ist jedoch nicht zuletzt wegen seiner zahlreichen Schriften zu politischen, wirtschaftlichen und religiösen Fragen seiner Zeit als bedeutende Persönlichkeit und Quelle einzuordnen.

Neben zahlreichen gedruckten Werken bietet die Universitätsbibliothek auch Zugriff auf umfangreiche durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft als Nationallizenzen geförderte Datenbanken, die Quellen und Texte unterschiedlichster Art von und zu Daniel Defoe enthalten. Zu nennen wären hier z.B. Making of the Modern World, Corvey Digital Collection oder Eighteenth Century Collection Online. Die Inhalte sind auch direkt über den Bibliothekskatalog zugänglich.

Blick hinter die Kulissen – Volontariat in der UB

In loser Folge stellen wir im „Lesezeichen“ Bibliotheks-Mitarbeiter und deren Arbeitsbereiche vor, die normalerweise hinter den Kulissen verborgen bleiben – heute ein Gespräch mit Dr. Berthold Kreß, der seit 1. Oktober 2018 in der UB arbeitet.

Eine Ausbildung in der UB kann nicht nur die zum/r Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste sein, auch die Absolvierung eines wissenschaftlichen Volontariats ist möglich. Was ist Ihr Berufsziel und was müssen Sie dafür tun?
Nach einem Hochschulstudium der Kunstgeschichte ist mein Ziel ein Masterabschluss in Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Das Studium an der Humboldt-Universität in Berlin erfolgt über einen Zeitraum von zwei Jahren berufsbegleitend. Dort geht es vor allem um die Theorie des Bibliothekswesens, hier in der UB kann ich dies wunderbar mit dem Kennenlernen der Praxis ergänzen.

Wie läuft das Volontariat ab, welche Aufgaben haben Sie hier in der UB?
Mein Aufgabenspektrum ist zweigeteilt: zum einen erhalte ich im Lauf der Zeit einen Einblick in alle Arbeitsbereiche der Bibliothek. Zum anderen bin ich in der Sondersammlung, also den historischen Beständen tätig. Dort bin ich zurzeit vor allem mit der Vorbereitung eines Projekts zur Digitalisierung der Amploniana beschäftigt. Die Tätigkeit in der Sondersammlung hängt mit meiner bisherigen Berufserfahrung zusammen. Meistens sind Volontäre einem Fachreferenten zugeordnet und lernen intensiv dessen Tätigkeit kennen.

Welche Erfahrungen bringen Sie mit?
Als Kunsthistoriker sind meine Interessenschwerpunkte mittelalterliche Handschriften und alte Drucke, vor allem deren Illustrationen. Ich habe sieben Jahre am Warburg Institute (einer Abteilung der University of London) am Aufbau einer Bilddatenbank mitgewirkt. Sie dient unter anderem dazu, digitalisierte Bilder zu erschließen, die sonst in den Digitalisaten der Handschriften „untergehen“ würden. In ähnlicher Weise habe ich auch hier in Erfurt bereits begonnen, Bilder aus in Erfurt gedruckten Werken zu erfassen.

Ein erster Eindruck nach ein paar Monaten in der UB?
Als Neueinsteiger war ich doch zunächst von der Komplexität einer Bibliothek beeindruckt – in London waren wir nur zu dritt, und man konnte den ganzen ‚Geschäftsgang‘ eines Eintrags in wenigen Minuten selber erledigen.

Wie stellen Sie sich Ihre berufliche Zukunft vor?
Zu Beginn meines Studiums der Kunstgeschichte war ich mir sicher, dass ich einmal mit alten Handschriften in einer Bibliothek arbeiten wollte, und so ist meine jetzige Tätigkeit eine Rückkehr zu einem alten Wunschtraum. Ob ich später in einer Sammlung arbeiten werde, deren Bestände ich beschreiben und, was mir besondere Freude bereitet, der Öffentlichkeit vermitteln kann, oder das Bibliothekarische mit meiner früheren Arbeit an Bilddatenbanken verbinde, wird sich noch herausstellen.

Vielen Dank für das Gespräch!