Makulatureinbände – vom Handschriftenrecycling

Mit dem Begriff „Makulatur“ (von lat. Macula: Fleck, Schandfleck, Makel) wird nicht mehr benötigter, wertlos gewordener bedruckter (Altpapier) oder von Hand beschrifteter (zumeist Pergament) Beschreibstoff bezeichnet.
An Makulatureinbänden in Archiven und Bibliotheken finden sich oftmals beschriftete, manchmal auch abgekratzte und abgewaschene Pergamentbögen.

Mit der Verbreitung des Buchdrucks wurden mittelalterliche Handschriften, die aus Pergament bestanden, vielfach als wertlos betrachtet und zur Bindung bzw. Verstärkung des Buchblocks neuer Bücher genutzt. Das hatte einen guten Grund: Pergament war ein teures Material, dazu biegsam, relativ reißfest und haltbar.
Auch im Altbestand historischer Drucke in der UB Erfurt finden sich zahlreiche Makulatureinbände, die vor einigen Jahren von Bibliothekar*innen teilweise erfasst und untersucht worden sind.

Mit Unterstützung einer Praktikantin sind wir nun bei der Erfassung und Digitalisierung ein großes Stück vorangekommen: Nicole Hartmann studiert im 6. Semester im Hauptfach Germanistik und im Nebenfach Anglistik. Derzeit schreibt sie an ihrer Bachelorarbeit. In ihrem Praktikum sah sie die Chance, „mit Büchern zu arbeiten und dabei sogar die Verantwortung für historische Bände zu bekommen.“
„Meine Hauptaufgabe bestand im Scannen und Digitalisieren sogenannter Makulatureinbände. Damit sind Bücher gemeint, die mit anderen Werken eingeschlagen wurden. Hierbei sind nicht die Bücher und ihr Inhalt wichtig, sondern die genutzten Umschläge. Mit diesen Aufnahmen wollte die UB eine Grundlage zur Digitalisierung und Veröffentlichung der Makulaturbände schaffen.“

Frau Hartmann verglich die Einträge in verschiedenen Listen und Karteien auf Vollständigkeit und scannte die Makulatureinbände von 344 alten Drucken. Dabei war das Scannen nicht immer einfach: sowohl das Alter der Bücher als auch der jeweilige Erhaltungszustand verlangten viel Fingerspitzengefühl, um möglichst gute Reproduktionen zu erhalten.

„Die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht und die Handhabung der alten Schriften war ein echtes Highlight für mich. Das Praktikum in der UB war eine gute Möglichkeit, um erste Erfahrungen für ein mögliches späteres Berufsfeld zu sammeln. Die Liebe zu Büchern eröffnet viele verschiedene Wege im Leben und die Arbeit mit Historischen Beständen ist auf jeden Fall etwas Außergewöhnliches.“

Von Blattweisern und anderen Lesezeichen

Wer kennt das nicht – mitten im Lesevergnügen muss man das Buch aus der Hand legen und möchte gern eine Stelle im Text markieren, um ohne großes Suchen weiter zu lesen. Glück hat, wer auf ein mehr oder weniger stilvolles Lesezeichen zurückgreifen kann; notfalls tut es eine Postkarte, ein Notizzettel oder ähnliches.

Wer in einer Bibliothek arbeitet, kann ein Lied davon singen, was in entliehenen Büchern als Lesezeichen benutzt worden ist und hat schlimme Beispiele vor Augen. Auch unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Sondersammlung konnten verschiedenste „Merkwürdigkeiten“ in den historischen Drucken entdecken und haben eine kleine Sammlung mit Fundstücken angelegt. Folgende Lesezeichen möchten wir zeigen: Rückgabequittungen, Buntpapierstücke, handschriftliche Vermerke, Werbeanzeigen, Fahrkarten und mit viel Sorgfalt und Fantasie gebastelte Objekte. Nicht gezeigt werden können gepresste Pflanzen, die schon zu fragil für Aufnahmen waren.

Aber auch in den historischen Drucken selbst wurden bei der Fertigstellung des Bandes oftmals sogenannte Blattweiser angebracht, meistens um bestimmte Abschnitte im Buch oder z.B. Bibelstellen dauerhaft zu markieren. Es handelt sich um Plättchen oder Kügelchen, sie bestanden aus Papier, Leder, Pergament oder auch Metall, wie man an dem Band „Sermones de aduẽtu …“ (Signatur: UB Erfurt, Dep. Erf., 6-Tp. 8° 2662) erkennen kann.

„Ich steh an deiner Krippen hier …“

Am 17. Februar 1483 wurde eine Bibel in der Nürnberger Werkstatt von Anton Koberger gedruckt, aus der wir Ihnen heute einen Holzschnitt mit der Darstellung von Jesu Christi Geburt zeigen möchten.

Evangelist mit seinem Wahrzeichen (Stier); Maria, Josef und das Jesuskind im Stall, Anbetung durch die Heiligen 3 Könige und die Beschneidung und Darstellung im Tempel

Diese Bibel ist aufgrund ihres Umgangs häufig in zwei Bänden erschienen und wird auch „Koberger-Bibel“ oder „Koburger-Bibel“ genannt. Bei ihr handelt es sich den neunten Bibeldruck in deutscher Sprache vor Luthers Bibelübersetzung.
Sie ist reich ausgeschmückt mit zahlreichen Holzschnitten, welche Koberger von den Kölner Druckern Heinrich Quentell und Bartholomäus von Unckel abgekauft hatte. Schon 1478 wurden diese Holzschnitte für zwei niederdeutsche Bibeldrucke verwendet. In Kobergers Druckerei wurde ein Teil der Auflage koloriert, vermutlich unter Einsatz von Schablonen.
Circa 270 Exemplare oder Fragmente werden in Bibliotheken oder öffentlichen Einrichtungen bewahrt, dazu befinden sich etwa 30 Exemplare dieser Bibel in privater Hand.


Im Bestand der UB Erfurt befindet sich ein leider nicht koloriertes unvollständiges Exemplar (Signatur: UB Erfurt, Dep. Erf., I.2° 218). Auch die Initialen, vermutlich farbig vorgesehen, wurden nicht eingefügt, wie man gut in der nächsten Abbildung aus dem Lukasevangelium sehen kann.

In der Forschungsbibliothek Gotha sind ein vollständiges und koloriertes Exemplar in 2 Bänden (Link zum Digitalisat des 1. Bandes in der DHB Erfurt/Gotha) und noch ein weiteres Exemplar vorhanden.

Im Vergleich zu dem schlicht wirkenden Holzschnitt im Erfurter Exemplar hier der Link zum Digitalisat der Bibel des Freiburger Exemplars, welches einen kolorierten Holzschnitt von der Geburt Christi, farbige Initialen und andere Ausschmückungen aufweist.

Wir wünschen Ihnen einen besinnlichen 4. Advent und ein frohes Weihnachtsfest!

Sankt Martin 2020 in Erfurt

Leider fällt dieses Jahr coronabedingt die traditionelle Martinsfeier am 10. November auf dem Domplatz aus. Während es in den vergangenen Jahren vor der Kulisse von Dom und St. Severikirche ein Lichtermeer zu bestaunen gab und Erfurter und viele Gäste in einer ökumenischen Martinsfeier sowohl des Heiligen Martins von Tours als auch des Reformators Martin Luther gedachten, gibt es in diesem Jahr einzelne kleinere Veranstaltungen und Andachten.
Trotz alledem möchten wir auch in diesem Jahr auf eine sehenswerte Darstellung des Martin von Tours in einem Druck des Altbestandes der Universitätsbibliothek aufmerksam machen.

Der Druck mit dem Titel „Missale iuxta rubricam Moguntinensis diocesis …“ (Signatur: UB Erfurt, Dep. Erf., LA. 2° 70) wurde im Jahr 1520 in Basel in der Werkstatt von Thomas Wolff gedruckt. Gezeigt wird der Heilige Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt. Dieser Holzschnitt stammt von Hans Holbein dem Jüngeren, einem bekannten deutsch-schweizerischen Maler, welcher in späteren Jahren als Maler am Hofe von König Heinrich dem VIII. geschätzt und zum Hofmaler wurde.

Dieser Band liegt vollständig digitalisiert vor (Link zum Digitalisat) und kann in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Thüringen angesehen werden.

Entdeckt: Rekonstruktion einer Federzeichnung

Seit Oktober 2019 läuft an der Universitätsbibliothek Erfurt in Kooperation mit dem Handschriftenzentrum der Universitätsbibliothek Leipzig und mit Unterstützung der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) Jena das DFG-Projekt „Digitalisierung und Tiefenerschließung von Handschriften der Bibliotheca Amploniana“. In diesem auf drei Jahre angelegten Projekt werden an der UB Erfurt 317 der 889 mittelalterlichen Amploniana-Handschriften gescannt und aus diesem Teilbestand wiederum 118 Handschriften in Erfurt und Leipzig wissenschaftlich erschlossen (Wortmelder-Beitrag am 18.6.20).

Im Zuge dessen tauchen allerhand kleine Entdeckungen auf.

Als Beispiel soll eine “Collage“ zweier Blätter dienen, welche in der medizinischen Handschrift UB Erfurt, Dep. Erf., CA 8° 62 zu finden sind.

 

Die Handschrift entstand Anfang des 14. Jahrhunderts und enthält einen Text von Petrus Hispanus (Commentarius in Aphorismos Hippocratis). Sehenswert ist eine Federzeichnung auf  zwei Teilen eines großformatigen Pergamentblattes. Dort sind eine auf einem Thron sitzende, gekrönte Frauenfigur und eine vor ihr knieende, ein Schwert tragende männliche Person abgebildet. Die beiden Hälften des zerschnittenen Blattes wurden bei der Bindung der Handschrift auf die Innenseiten des Vorder- und des Rückdeckels als sogenannte Spiegelblätter geklebt, um das Deckelholz und die Lederverklebung zu überdecken. Durch die Leimung entstanden Abklatsche auf dem Deckelholz, die seit der Ablösung und Freistellung der Blätter zu sehen sind.

Ob bei der Tiefenerschließung der Handschriften noch weitere neue, interessante Entdeckungen auftauchen, wird sich im Laufe des Projekts zeigen.

Neues DFG-Projekt „Bibliotheca Amploniana“ in der Universitätsbibliothek Erfurt

Die 889 mittelalterlichen Handschriften der Bibliotheca Amploniana, der Bibliothek des Collegium Porta Coeli der alten Universität Erfurt – seit 2002 als Depositum der Landeshauptstadt Erfurt in der Universitätsbibliothek Erfurt als Depositum verwahrt – sind ein einzigartiges Dokument zur Geistes- und Wissenschaftsgeschichte des Spätmittelalters. Ihren Kern bildet eine Schenkung von 633 Handschriften durch den kurkölnischen Leibarzt Amplonius Rating de Berka (gest. 1435), darunter ein besonders bedeutendes Konvolut medizinischer Schriften. Diese Codices aus dem 9.–15. Jahrhundert bilden nicht nur die umfangreichste geschlossen erhaltene Büchersammlung eines mittelalterlichen Gelehrten, sondern auch den reichsten Bestand einer Kollegienbibliothek dieser Zeit. Ihre Bedeutung liegt nicht nur in den (teils unikal) überlieferten Texten, sondern auch in den Handschriften selbst, die einzigartige Zeugnisse aus dem frühen Universitätsbetrieb in Frankreich, Italien, England und Deutschland sind und über ihre Besitzgeschichten Einblick in die internationalen Wissensnetzwerke des Spätmittelalters geben.

Da ein 1887 von Wilhelm Schum erstellter Bestandskatalog nicht mehr heutigen wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, wurden zwischen 2008 und 2013 mit DFG-Förderung zunächst für 324 v.a. medizinisch-naturphilosophische Handschriften die inhaltlichen Erschließungsdaten in Manuscripta Mediaevalia vervollständigt und mit Normdaten versehen sowie eine Forschungsdokumentation mit über 3.000 Titeln im OPAC der UB Erfurt aufgebaut.

Das anhaltend starke Interesse der Wissenschaft an der Sammlung sowie bedeutende Funde aus jüngster Zeit (z.B. unbekannte Texte des Kirchenvaters Augustinus im Jahr 2008) machen es unabdingbar, die Amploniana nun nach den Maßstäben des 21. Jahrhunderts, also durch vollständige Digitalisierung und eine wissenschaftliche Erschließung (sog. Tiefenerschließung), zu bearbeiten.

In einem seit Oktober 2019 laufenden, auf drei Jahre angelegten Kooperationsprojekt der UB Erfurt mit dem Handschriftenzentrum Leipzig, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird, werden 317 der Handschriften durch die UB Erfurt digitalisiert und in der von der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB) bereitgestellten „Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha“ zugänglich gemacht. Die Tiefenerschließung bezieht sich auf 118 medizinische Handschriften aus dem Digitalisierungsbestand. Sie stammen aus der Schenkung des Amplonius und deren nächstem Umfeld. Die Katalogisierungsarbeiten erfolgen nach den DFG-Richtlinien unter Leitung des Handschriftenzentrums Leipzig verteilt in Erfurt und Leipzig. Die Ergebnisse der Tiefenerschließung werden der Forschung über die Handschriftendatenbank „Manuscripta Mediaevalia“ kontinuierlich bereitgestellt und fließen später in ein gerade in der Entwicklung befindliches, neues Handschriftenportal ein.