Im Februar 2024 wurde im Stadtmuseum Erfurt eine neue Ausstellungsvitrine eingeweiht, in der regelmäßig Handschriften der berühmten Bibliotheca Amploniana der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Alle sechs Wochen wird geblättert.
In der aus dem Ende des 13./Anfang des 14. Jahrhunderts stammenden Handschrift Dep. Erf., CA 2° 286 (Digitalisat in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha) sind aktuell die Blätter 250 verso (linke Seite) und 251 recto (rechte Seite) aufgeschlagen, jeweils zweispaltig geschrieben in einer sauberen gotischen Minuskel, mit blauen und roten Hervorhebungen und Verzierungen.
CA 2° 286, Blatt 251r mit „R“-Initiale
Besonders sehenswert ist die kunstvolle Initiale „R“, die — reichlich ornamentiert — kleine Teufel darstellt. Schauen Sie sich die kostbare Pergamenthandschrift gerne im Original an:
„Haus zum Stockfisch“, Johannesstraße 169
Dienstag bis Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Die Spannung steigt, sobald ein neues Schuljahr vor den SchülerInnen liegt: andere LehrerInnen, neue Fächer, evtl. wird auch eine weiterführende Schule besucht. Besonders aufregend wird es aber für die ABC-Schützen. Lesen- und Schreibenlernen von Buchstaben und Zahlen stehen neben z.B. Heimat- und Sachkunde, Musik und Sport auf dem Stundenplan. Im Schulrucksack sind neben Etui, Hausaufgabenheft und Farbkasten auch Fibel und Rechenbuch.
Eine Fülle an Schulbüchern befindet sich im Bestand der Universitätsbibliothek, auch das ein oder andere Lehrbuch aus vergangenen Jahrhunderten. Als Beispiel dafür soll die sogenannte Hahnenfibel vorgestellt werden.
Zum Lesenlernen benutzte man in Deutschland beispielsweise Fibeln wie diese Hahnenfibel, (Signatur: 40-02095) die eine preiswerte Alternative zu den umfangreicheren und besser ausgestatteten Leselernbüchern für den wohlhabenden Nachwuchs waren. Das wahrscheinlich erste Exemplar erschien um 1570. Sie hatten 16 Seiten (= 8 Blatt), waren ohne Titelblatt und bis auf den titelgebenden Hahn meist ohne Bilder, geschützt von einfachem Karton im handlichen Oktavformat. Das Alphabet auf dem Titelblatt wurde häufig in Rot- und Schwarzdruck abgebildet und der erste Buchstabe wurde als Schmuckinitiale dargestellt.
Der Begriff Hahnenfibel rührt vom Hahnenbild auf der letzten Seite her, welches sich vermutlich aus einer Druckermarke entwickelt hat; dabei steht der Hahn nicht mit den Lesetexten im Zusammenhang, er dient als mahnender Zeitwächter, der zum pünktlichen Schulbeginn riet oder einen anderen Sinnspruch vortrug.
Gelernt wurde nach der Buchstabiermethode (a – be – ce – de – e …), es folgte das Lesen der Silben und anschließend das wiederholte Lesen der Texte.
Wer jetzt kindgerechte Texte erwartet, wird überrascht sein. Die übliche Reihenfolge sah wie folgt aus: zuerst gibt es eine Buchstabentafel, anschließend getrennt aufgeführt die Vokale und Konsonanten mit einer Silbentafel auf der Rückseite.
Leselerntexte sind das „Vater unser“, die „Zehn Gebote“ und das „Glaubensbekenntnis“, gefolgt von bspw. Sakramenten, Gebeten und Segen. In unserer Hahnenfibel sind auch noch Ziffern als Zahlen und ausgeschrieben aufgeführt.
Die Auswahl dieser Lesestoffe mag uns befremdlich erscheinen, entsprach aber der Vorstellung, dass das Lesenlernen mit „guten“ gottgefälligen Texten – auch wenn schwer verständlich – zu einer guten christlichen Gesinnung führen wird.
Lateinlehrbuch LA 8° 101
Verschiedene Rechenbücher oder z.B. Lehrbücher für Lateinunterricht aus dem 16. bis ins 19 Jahrhundert sind ebenfalls im Bestand der Historischen Sammlungen der UB Erfurt. Man achte auf die zahlreichen Notizen in der wohl häufig und intensiv genutzten lateinischen Grammatik!
Wenn man von Kettenbüchern spricht, sind damit im bibliothekarischen Sprachgebrauch weder skurrile Modeaccessoires noch Fußfesseln gemeint. Vielmehr handelt es sich bei diesen Büchern (alte Handschriften oder Drucke) um Bände, die mittels am Buchdeckel angebrachter Ketten an Lesepulten in mittelalterlichen Bibliotheken gesichert zum Lesen zur Verfügung gestellt werden konnten. Diese libri catenati (lat. angekettete Bücher) wurden so vor Diebstahl bewahrt und waren vor Absturz und Beschädigungen gesichert. Auch wurde ein Verstellen der Bücher verhindert.
Noch heute gibt es Bibliotheken, wo man diese Art der Bereitstellung besichtigen kann: Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz oder die Chained Library an der Hereford Cathedral.
Amploniana-Handschrift CA 2° 141 mit Kette
Auch in den historischen Beständen der UB Erfurt können wir noch heute zahlreiche Bände mit intakten Ketten finden; vielfach wurden Sie jedoch entfernt, weil sie einer Aufstellung in den Regalen hinderlich oder defekt waren.
Ein Faksimile ist die originalgetreue Reproduktion eines Werks oder von dessen Teilen – in Größe, Farbe und mit allen Materialbesonderheiten, Unregelmäßigkeiten und Gebrauchsspuren. So kann man grobe Fasern im Papier, Randnotizen der ehemaligen Inhaber, Insektenfraß und Verschmutzungen entdecken, aber auch ein unbenutzt wirkendes Buch in den Händen halten.
Lange Zeit waren die aufwendig und in limitierter Anzahl hergestellten Faksimileausgaben die einzige Möglichkeit, der Forschung Handschriften und Alte Drucke zur Verfügung zu stellen. Heute werden sie zunehmend von Digitalisaten abgelöst. Trotzdem üben Faksimiles auf Buchliebhaber eine große Anziehungskraft aus, und es ist faszinierend, sich anhand eines Faksimiles in vergangene Zeiten und vielleicht in die ehemaligen Nutzer zu versetzen.
Astronomicum Caesareum, Faksimile mit Gebrauchsspuren nach der Ausgabe von 1540Rechenbuch von Adam Ries, Faksimile der Ausgabe von 1574, mit Notizen verschiedener Nutzer versehen
Durch eine enge Kooperation mit dem Stadtmuseum Erfurt sind ab übermorgen im „Haus zum Stockfisch“ in der Johannesstraße 169 regelmäßig Handschriften der berühmten Bibliotheca Amploniana öffentlich zu sehen. Die neue Ausstellungsvitrine, welche in der Dauerausstellung zur mittelalterlichen Großstadt ihren Platz findet, wird viermal im Jahr mit einem neuen Codex bestückt, sodass es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt. Als erstes Buch wird eine reich verzierte Sammelhandschrift aus dem 13. Jahrhundert mit verschiedenen naturphilosophischen Texten gezeigt. Das Stadtmuseum lädt herzlich zur feierlichen Einweihung der Vitrine im Rahmen einer Eröffnungsveranstaltung am 7. Februar 2024 um 11 Uhr ein.
Aus dem wertvollen und bedeutenden Bestand der Bibliotheca Amploniana wurde die aufwendige Restaurierung zweier spätmittelalterlicher Handschriften je hälftig durch Bundes– und Haushaltsmittel der Universität Erfurt gefördert bzw. finanziert (vgl. dazu den Blog-Beitrag vom 5. September 2023). Die frisch restaurierten Codices Dep. Erf., CA 4° 263 und Dep. Erf., CA 4° 323 sind gerade aus der Leipziger Restaurierungswerkstatt zurückgekehrt und können nun der Öffentlichkeit präsentiert werden. Im Rahmen einer Veranstaltung werden am 18. Januar 2024 um 17.30 Uhr nicht nur die beiden Handschriften des frühen 15. Jahrhunderts u.a. mit Werken von Aristoteles im Original gezeigt, sondern auch deren Restaurierung erklärt und in den Kontext der Sammlungs- und Restaurierungsgeschichte gestellt. Die Besucherinnen und Besucher erwarten zudem Neuigkeiten über das aktuelle Digitalisierung- und Erschließungsprojekt, in dessen Kontext das Drittmittelprojekt durchgeführt wurde.
Donnerstag, 18. Januar 2024 17.30 Uhr Sonderlesesaal der Universitätsbibliothek, 2. OG