Auf in das neue Schuljahr

Die Spannung steigt, sobald ein neues Schuljahr vor den SchülerInnen liegt: andere LehrerInnen, neue Fächer, evtl. wird auch eine weiterführende Schule besucht. Besonders aufregend wird es aber für die ABC-Schützen. Lesen- und Schreibenlernen von Buchstaben und Zahlen stehen neben z.B. Heimat- und Sachkunde, Musik und Sport auf dem Stundenplan. Im Schulrucksack sind neben Etui, Hausaufgabenheft und Farbkasten auch Fibel und Rechenbuch.
Eine Fülle an Schulbüchern befindet sich im Bestand der Universitätsbibliothek, auch das ein oder andere Lehrbuch aus vergangenen Jahrhunderten. Als Beispiel dafür soll die sogenannte Hahnenfibel vorgestellt werden.


Zum Lesenlernen benutzte man in Deutschland beispielsweise Fibeln wie diese Hahnenfibel, (Signatur: 40-02095) die eine preiswerte Alternative zu den umfangreicheren und besser ausgestatteten Leselernbüchern für den wohlhabenden Nachwuchs waren. Das wahrscheinlich erste Exemplar erschien um 1570. Sie hatten 16 Seiten (= 8 Blatt), waren ohne Titelblatt und bis auf den titelgebenden Hahn meist ohne Bilder, geschützt von einfachem Karton im handlichen Oktavformat. Das Alphabet auf dem Titelblatt wurde häufig in Rot- und Schwarzdruck abgebildet und der erste Buchstabe wurde als Schmuckinitiale dargestellt.
Der Begriff Hahnenfibel rührt vom Hahnenbild auf der letzten Seite her, welches sich vermutlich aus einer Druckermarke entwickelt hat; dabei steht der Hahn nicht mit den Lesetexten im Zusammenhang, er dient als mahnender Zeitwächter, der zum pünktlichen Schulbeginn riet oder einen anderen Sinnspruch vortrug.
Gelernt wurde nach der Buchstabiermethode (a – be – ce – de – e …), es folgte das Lesen der Silben und anschließend das wiederholte Lesen der Texte.
Wer jetzt kindgerechte Texte erwartet, wird überrascht sein. Die übliche Reihenfolge sah wie folgt aus: zuerst gibt es eine Buchstabentafel, anschließend getrennt aufgeführt die Vokale und Konsonanten mit einer Silbentafel auf der Rückseite.

Leselerntexte sind das „Vater unser“, die „Zehn Gebote“ und das „Glaubensbekenntnis“, gefolgt von bspw. Sakramenten, Gebeten und Segen. In unserer Hahnenfibel sind auch noch Ziffern als Zahlen und ausgeschrieben aufgeführt.

Die Auswahl dieser Lesestoffe mag uns befremdlich erscheinen, entsprach aber der Vorstellung, dass das Lesenlernen mit „guten“ gottgefälligen Texten – auch wenn schwer verständlich – zu einer guten christlichen Gesinnung führen wird.

Lateinlehrbuch LA 8° 101

Verschiedene Rechenbücher oder z.B. Lehrbücher für Lateinunterricht aus dem 16. bis ins 19 Jahrhundert sind ebenfalls im Bestand der Historischen Sammlungen der UB Erfurt. Man achte auf die zahlreichen Notizen in der wohl häufig und intensiv genutzten lateinischen Grammatik!

Andrea Langner

Wortschatz Bibliothek. Heute: Kettenbuch, das; -er

Wenn man von Kettenbüchern spricht, sind damit im bibliothekarischen Sprachgebrauch weder skurrile Modeaccessoires noch Fußfesseln gemeint. Vielmehr handelt es sich bei diesen Büchern (alte Handschriften oder Drucke) um Bände, die mittels am Buchdeckel angebrachter Ketten an Lesepulten in mittelalterlichen Bibliotheken gesichert zum Lesen zur Verfügung gestellt werden konnten. Diese libri catenati (lat. angekettete Bücher) wurden so vor Diebstahl bewahrt und waren vor Absturz und Beschädigungen gesichert. Auch wurde ein Verstellen der Bücher verhindert.

Noch heute gibt es Bibliotheken, wo man diese Art der Bereitstellung besichtigen kann: Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz oder die Chained Library an der Hereford Cathedral.

Amploniana-Handschrift CA 2° 141 mit Kette
Amploniana-Handschrift CA 2° 141 mit Kette

Auch in den historischen Beständen der UB Erfurt können wir noch heute zahlreiche Bände mit intakten Ketten finden; vielfach wurden Sie jedoch entfernt, weil sie einer Aufstellung in den Regalen hinderlich oder defekt waren.

Andrea Langner

Handschrift CA 8° 55 mit Kette am Hinterdeckel
Handschrift CA 8° 55 mit Kette am Hinterdeckel

 

 

Bienchen, summ herum – zum Weltbienentag am 20. Mai

Bienenkönigin, LA. 4° 322 (2)

In diesem Jahr mussten wir geduldig auf den Frühling und die ersten Flugversuche der Bienen warten. Mit dem Anstieg der Temperaturen über ca. 12 °C sind auch unsere Honigbienen (Apis mellifera) wieder unterwegs, um Pollen zur Ernährung zu sammeln und eine wichtige Aufgabe für unsere Landwirtschaft zu übernehmen, nämlich die Bestäubung von Blüten. Da Honigbienen – im Gegensatz zu Hummeln und den meisten anderen Wildbienen – blütentreu sind und immer nur eine Blütenpflanzenart anfliegen, solange diese genug Nektar hat, ist das für die Bestäubung dieser Pflanzenart enorm wichtig.

Bienenstöcke im „Hortus sanitatis“, I. 4° 354

Wer sich weiter über die Lebensweise von Honig- und Wildbienen informieren möchte, kann viele lesenswerte Beiträge im Internet finden, z. B. beim NABU, bei Stadtbienen.org  oder Wildbienen.de.

Geräte zur Pflege von Bienen, LA. 4° 322 (1)

Doch schon vor hunderten von Jahren wusste man um den Nutzen und die Wohltaten der Bienen und des Honigs und gab Informationen über ihr Leben und auch  Ratschläge zur Haltung weiter. In einer Inkunabel (I 4° 354) aus dem Jahr 1497 mit dem Titel „Hortus sanitatis …“ gibt es u.a. kolorierte Holzschnitte von Bienen und zwei aus Baumstämmen gefertigten „Bienenstöcken“ mit Einflugloch unten.

In einem Sammelband liegen uns gleich zwei umfangreiche Werke zur Imkerei vor: „Die rechte Bienen Kunst : Aus bewehrter erfahrung zusammen geschrieben …“ , LA. 4° 322 (1), von Caspar Höffler aus dem Jahr 1614 und „M. Johannis Coleri Nützlicher bericht von den Bienen oder Im[m]en …“ von Johann Coler, LA. 4° 322 (2) von 1611.  Auf der Abbildung sehen wir allerhand nützliche Gerätschaften für die Imkerei.

 

Noch einmal haben wir „M. Caspar Höfflers Rechte Bienen-Kunst …“   (40-03119) in unserem Bestand, „vermehret und verbessert“ (1741) durch Pfarrer Christoph Schrot. Im vorliegenden Band hat einer der Vorbesitzer zu den zahlreichen Illustrationen noch seine eigenen Anmerkungen notiert und bemerkenswerte Aussagen unterstrichen.

Wie fange ich ein schwärmendes Bienenvolk ein? 40-03119

 

Sie können gern in den Digitalisaten stöbern oder (noch besser) die Originale mit ihren exemplarbezogenen Besonderheiten im Sonderlesesaal der UB Erfurt anschauen. Dafür gibt es dann ein Fleißbienchen!

Andrea Langner

 

Wortschatz Bibliothek. Heute: Durchschossenes Exemplar, das; -e

Wer glaubt, dass durchschossene Bücher Opfer von Verbrechen oder Kriegshandlungen wurden, befindet sich auf dem Holzweg. Vielmehr stammt dieser Begriff aus dem Prozess der Buchherstellung: nach jedem beschriebenen oder bedruckten Blatt ist eine leeres Blatt eingebunden.

Dieses konnten z.B. die Autoren selbst für Korrekturen oder Ergänzungen (Anmerkungen für neue Auflagen) nutzen oder Käufer und Leser beauftragten das Einbinden der leeren Blätter, um Platz für handschriftliche Notizen zu haben – also zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem gedruckten Werk.

 

Handelt es sich bei einem Bibliotheksexemplar (wie hier LA. 4° 154 (1)) um ein durchschossenes Buch, wird dies in den Informationen zum Exemplar vermerkt und ist auch bei der Recherche im OPAC oder Discovery zu finden.

Einschussspuren am Exemplar (6-Tu. 4° 602)

Ein durch Einschuss beschädigtes Buch haben wir aber auch im Bestand: die Postinkunabel (Vocabularius Theologie …) wurde schwer beschädigt; dank umfangreicher Restaurierungsarbeiten ist dieser Band wieder nutzbar!

Restaurierungsbericht für 6-Tu. 4° 602

Andrea Langner

Wortschatz Bibliothek. Heute: Fingerprint, der; -s

Bei der Aufklärung von Verbrechen werden Fingerabdrücke am Tatort aufgrund ihrer Einzigartigkeit zur Identifizierung und Überführung des Täters oder der Täterin benutzt.

Bei der Identifizierung Alter Drucke im Bibliothekswesen werden Fingerprints erstellt, indem Zeichen von definierten Seiten und Zeilen eines gedruckten Werks entnommen werden in Kombination mit dem Erscheinungsdatum und einer evtl. Bandangabe. So lassen sich unterschiedliche Druckausgaben und – varianten unterscheiden.

Gebräuchlich sind zwei Arten der Fingerprintmethode: der LOC- bzw. FEI-Fingerprint und der STCN-Fingerprint.

In der UB Erfurt wird die erste Ermittlungsmethode genutzt, bei welcher man auf typographische Unterschiede im Zeilenumbruch setzt. Grenzen hat sie, wenn Nachdrucke zeilenidentisch sind und bei Auflagen mit gleichem Erscheinungsjahr.

Wie funktioniert nun das Ganze?

Der Fingerprint wird aus 16 Zeichen gebildet, die in vier Gruppen stehen. Es werden dazu genommen

  • Gruppe 1: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenende) von der ersten bedruckten Vorderseite nach der Titelseite
  • Gruppe 2: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenende) von der vierten Vorderseite nach der zuvor verwendeten Vorderseite
  • Gruppe 3: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenende) der Vorderseite, welche der für die zweite Gruppe herangezogenen folgt und die korrekte Zahl 13, ersatzweise 17, trägt
  • Gruppe 4: zwei Zeichen der letzten und vorletzten Zeile (Zeilenanfang) der Rückseite der für die dritte Gruppe verwendeten Seite

Dazu kommen noch

  • ein Anzeiger für die Seite des Buches, der die dritte Zeichengruppe entnommen wurde: “3” für Seite 13, “7” für Seite 17 oder “C” bei fehlender oder falscher Zählung.
  • das Erscheinungsdatum (mit „A“ für arabische und „R“ für römische Zahlen) und
  • bei mehrbändigen Werken die Zählung des Bandes

Beispiel:

Die eindeutige Identifizierung mit Fingerprint ist nicht nur bei der Erschließung des eigenen Bestands hilfreich, sondern auch bei der Arbeit mit Alten Drucken aus anderen Bibliotheken.

Klingt kompliziert? Auch hier gilt: Übung macht den Meister!

Mehr Informationen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Fingerprint_(Bibliothekswesen)

https://wiki.obvsg.at/Katalogisierungshandbuch/ArbeitsunterlagenFEAlteDruckeALMA 

Andrea Langner

 

Vor 500 Jahren erschien nach Michaelis das zweite Rechenbuch von Adam Ries

„Das macht nach Adam Ries(e) …“ — diese Redewendung ist weit verbreitet und bekannt. Sie bedeutet, dass man ein korrektes Rechenergebnis vorweisen kann. Der Mensch hinter der Redewendung war ein bedeutsamer Rechenmeister, der auch in Erfurt lebte und arbeitete.

Von Adam Ries (oder auch Adam Riese) wissen wir, dass er 1492 oder 1493 in Staffelstein geboren wurde als Sohn von Eva Kittler und Contz Ries. Über seine frühen Lebensjahre ist wenig bekannt, zu Schul- oder Universitätsbesuch gibt es keine Quellen.
Im Jahr 1517 wurde er in einem Streit, der vor dem Staffelsteiner Rat verhandelt wurde, erwähnt.
Wohl 1518 kam Ries nach Erfurt und war hier als Rechenmeister tätig. Außerdem veröffentlichte er zwei Rechenbücher: 1518 stellte er das 1. Rechenbuch „Rechnung auff der linihen“ fertig, gedruckt wurde es von Mathes Maler. In ihm wurde das Rechnen mit Rechenbrett und Rechenpfennigen für Kinder erklärt. Weitere Auflagen erschienen in derselben Werkstatt 1525, 1527 und 1530.
Auch das 2. Rechenbuch „Rechenung auff der linihen vnd federn“ wird im Jahr 1522 von Mathes Maler gedruckt, gefolgt von weiteren Auflagen 1525, 1527 und wieder 1533 sowie diversen Auflagen gedruckt vom Erfurter Melchior Sachse d. Ä..
Im selben Jahr verließ er Erfurt und zog ins Erzgebirge nach Annaberg, wo er die Arbeit an seinem Werk „Coß“ 1524 abschloss. Dieses Lehrbuch der Algebra wurde nicht gedruckt, Familienmitglieder und andere Interessierte konnten aber das Manuskript einsehen und damit arbeiten, ebenso mit einer zweiten Fassung. Erst 1992 (!) gab es einen Nachdruck dieser Handschrift.
Ries heiratet 1525 Anna Leuber, eröffnete eine private Rechenschule (heute Adam-Ries-Museum) und arbeitete in den späteren Jahren als Rezessschreiber und Berggegenschreiber (Erstellen bzw. Überprüfen von Abrechnungen im Erzabbau) und als Zehntner im Bergamtsrevier Geyer.
Im Jahr 1533 schrieb er eine Brotordnung für Annaberg, mit welcher die Preise für Brot und Brötchen errechnet wurden; diese Ordnung wurde 1536 gedruckt und von anderen Städten übernommen.
Sein 3. Rechenbuch „Rechenung nach der lenge auff den Linihen vnd Feder …“ (genannt die „Practica“, erschien im Jahr 1550 in Leipzig, welches erstmals ein zeitgenössisches Porträt von Adam Ries zeigt — mit Hinweis auf sein Alter in der Umschrift).
Adam Ries starb Ende März/Anfang April 1559 in Annaberg oder Wiesa und hinterließ mindestens 8 Kinder.

2. Rechenbuch von Adam Ries, erschienen 1532 bei M. Sachse d. Ä.: Rechnung auf der Linihen vnd Federn. UB Erfurt, Dep. Erf. , 13-A. 8° 841 (3), Titelblatt mit Notizen auf der gegenüberliegenden Seite (mit Worten ausgeschriebene Zahl)

Das 2. Rechenbuch, welches jetzt das 500jährige Jubiläum seines Erstdrucks feiert, wendet sich an Lehrlinge kaufmännischer und handwerklicher Berufe. Es wird neben dem Rechnen mit Rechenbrett auch das neuartige schriftliche Rechnen erklärt und Ries verwendet hierfür die damals noch nicht so gebräuchlichen arabischen Ziffern. Mit vielen Anwendungsaufgaben ist es praxisbezogen. Dieses erfolgreiche Rechenbuch wurde schon zu Lebzeiten Ries‘ vielfach wieder aufgelegt und erschien in weit über 100 Auflagen insgesamt.

Anmerkungen:
Michaelistag ist der 29. September.
Das abgebildete Ensemble bestehend aus Bronzebüste, Rechenbrett und Tafel befindet sich am bzw. vorm Haus „Zum schwarzen Horn“ in der Michaelisstraße 48 in Erfurt.

Weitere Informationen:
Zahlreiche Veröffentlichungen zu Adam Ries, Nachdrucke und Originale der Rechenbücher und die „Annaberger Brotordnung“ findet man im Bestand der UB Erfurt.
Ab Mitte Oktober wird eine kleine Ausstellung in den Vitrinen vor dem Eingang zur Sondersammlung im 2. OG ein paar Einblicke ermöglichen.

Dort unter anderem zu sehen: „Adam Ries(e) und Erfurt. Rechnung auf den Linien — nach Adam Ries“, anlässlich des 500jährigen Erstdrucks herausgegeben von Manfred Weidauer

… auf dessen Engagement ich besonders hinweisen möchte: weidauer.de

Andrea Langner