Aus dem wertvollen und bedeutenden Bestand der Bibliotheca Amploniana wurde die aufwendige Restaurierung zweier spätmittelalterlicher Handschriften je hälftig durch Bundes– und Haushaltsmittel der Universität Erfurt gefördert bzw. finanziert (vgl. dazu den Blog-Beitrag vom 5. September 2023). Die frisch restaurierten Codices Dep. Erf., CA 4° 263 und Dep. Erf., CA 4° 323 sind gerade aus der Leipziger Restaurierungswerkstatt zurückgekehrt und können nun der Öffentlichkeit präsentiert werden. Im Rahmen einer Veranstaltung werden am 18. Januar 2024 um 17.30 Uhr nicht nur die beiden Handschriften des frühen 15. Jahrhunderts u.a. mit Werken von Aristoteles im Original gezeigt, sondern auch deren Restaurierung erklärt und in den Kontext der Sammlungs- und Restaurierungsgeschichte gestellt. Die Besucherinnen und Besucher erwarten zudem Neuigkeiten über das aktuelle Digitalisierung- und Erschließungsprojekt, in dessen Kontext das Drittmittelprojekt durchgeführt wurde.
Donnerstag, 18. Januar 2024 17.30 Uhr Sonderlesesaal der Universitätsbibliothek, 2. OG
Für die Stiftung seiner Bibliothek an das von ihm gegründete Kolleg zur Himmelspforte (Collegium Porta Coeli) erfasste Amplonius Rating de Berka zwischen 1410 und 1412 alle Werke, die er zu diesem Zeitpunkt besaß, in einem Katalog. Das waren 633 Codices mit etwa 4.500 Werken, und damit die größte geschlossen erhaltene Handschriftensammlung eines einzelnen Gelehrten des Spätmittelalters! Ob Amplonius diesen Katalog tatsächlich eigenhändig geschrieben, diktiert oder in Auftrag gegeben hat, darüber diskutieren Handschriftenforscher:innen bis heute. Auf jeden Fall ist er eine zeitgenössische Quelle, wie sie sich bei privaten Büchersammlungen selten erhalten hat.
Der Katalog mit seinen 46 Blatt hat ein schmales Hochformat („Schmal-Folio“. Höhe: 31,5 cm; Breite: 12,4 cm) und ist in Papier eingebunden, welches eine aus dem späteren 18. Jahrhundert stammende Aufschrift trägt: „Amplonii Ratynck de Berka (al. de Fago) artium et medicinae Doctoris Catalogus librorum manuscriptorum in propria bibliotheca asservatorum“: „Katalog der in der eigenen Bibliothek des Amplonius Ratynck de Berka (alias de Fago), Doktors der Artes und der Medizin, verwahrten handgeschriebenen Bücher“.
Katalog des Amplonius, Dep. Erf., CA 2° 404, Einband mit Beschriftung aus dem späteren 18. Jahrhundert: https://dhb.thulb.uni-jena.de/rsc/viewer/ufb_derivate_00015872/CA-2-00404_0005.tif
Der Katalog ist in 12 Abteilungen gegliedert. Jede Abteilung beginnt mit den Worten „Isti sunt libri quos ego Amplonius habeo …“: „Das sind die Bücher, die ich, Amplonius, besitze …“.
Wie hier bei der Theologie werden in dem Katalog nach der Benennung des Fachs jeweils die einzelnen Bände und die in ihnen enthaltenen Schriften aufgeführt.
Die durch Bundesmittel finanzierte Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) fördert im Rahmen ihrer Modellprojektförderung die Restaurierung zweier Handschriften der Bibliotheca Amploniana.
Voraussetzung für die Digitalisierung und Erschließung ist, dass alle Handschriften in einem dafür geeigneten konservatorischen Zustand sind.
Bei den den spätmittelalterlichen Handschriften Dep. Erf., CA 4° 263 und Dep. Erf., CA 4° 323 sind die Schäden so komplex und die Arbeiten so aufwendig, dass dafür ein externer Auftrag vergeben werden muss.
Beide Handschriften waren im Frühjahr 1922 vom Erfurter Buchbinder und Einbandforscher Adof Rhein (dessen Nachlass in der Universitätsbibliothek Erfurt verwahrt und aktuell wissenschaftlich erschlossen wird https://www.uni-erfurt.de/bibliothek/suchen-und-finden/sammlungen-der-ub-erfurt/nachlass-adolf-rhein) den damaligen Standards gemäß restauriert worden. Leider wurde dabei zum Teil Material verwendet, das sauer wurde und dringend entfernt werden muss, um Schäden am Papier zu vermeiden.
Voraussichtlich im Dezember werden die Arbeiten durchgeführt sein und im Rahmen einer Veranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Komplexe Papierschäden an Dep. Erf., CA 4° 263
Restaurierungsbericht von Adolf Rhein zur Handschrift Dep. Erf., CA 4° 263
Transkription:
Das Buch war auf ledernen Rückenstreifen
geheftet. Der hintere Pgtumschlag fehlte
die letzten Lagen waren stark beschädigt. Der Rückenstreifen war angekohlt. Rückenstreiften u. hinterer Pgtumschlag
sind erneuert. Das Buch ist ausgebessert neu geheftet worden in der alten Art.
Mai 1922 Rh
Komplexes Schadensbild an Dep. Erf., CA 4° 323
Restaurierungsbericht von Adolf Rhein zur Handschrift Dep. Erf., CA 4° 323
Transkription:
Das Buch war in Pgtumschlag sehr
mangelhaft geheftet. Nur die
vordere Umschlaghälfte war erhalten,
sie war mit Papier hinterklebt.
Das Buch war in sehr schlechtem Er-
haltungszustand. Es ist stark aus-
gebessert u. neu ½ Pgt gebdn
worden.
März 1922 Rh
Die namhafte Orientalistin Annemarie Schimmel, 1922 in Erfurt geboren, hat in ihrem langen Leben fast wortwörtlich die ganze Welt bereist. Eine Vitrinen-Ausstellung im 2.OG widmet sich ihrer Begegnung mit der Türkei, wo sie von 1954 bis 1959 als erste Frau Ordinaria für Religionsgeschichte an der Theologischen Fakultät in Ankara war. Auch später reiste sie häufig in die Türkei und erhielt zahlreiche Auszeichnungen „als Anerkennung und […] Dank für ihre wertvolle Arbeit zur Erforschung und Förderung der türkischen Kultur“, wie es auf einer Ehrenurkunde der Türkischen Republik heißt (in der Ausstellung zu sehen!). Da Annemarie Schimmel einen Teil ihres Nachlasses der Universität Erfurt vermachte — neben Büchern auch ihre Orden und Ehrenzeichen sowie die dazugehörige Korrespondenz –, wird das Thema durch solche illustriert. Hinzu kommen Bücher aus ihrem eigenen Besitz und Textpassagen aus ihrer Autobiographie (Morgenland und Abendland: mein west-östliches Leben:BE 8607 S335 M8), die „Annemarie Schimmel in der Türkei“ lebendig werden lassen.
Die Geschichte zu diesem Bild wird in der Ausstellung erzählt …
Am 7. April 2023 wäre Annemarie Schimmel 101 Jahre alt geworden.
Die namhafte Islamwissenschaftlerin verstarb allerdings schon 2003 im Alter von 80 Jahren.
Ihrer Geburtsstadt Erfurt war sie offenbar zeitlebens verbunden – obwohl sie nach Lebensstationen in Berlin, Marburg, Ankara und Harvard ihre letzten Lebensjahre in Bonn verbrachte, wo sich auch ihr Grab befindet. So wurde sie 1997 Mitglied im Kuratorium der Universität Erfurt und vermachte derselben Teile Ihrer Bibliothek sowie ihre Orden und Ehrenzeichen. Letztere werden in einer kleinen Dauerausstellung in der Universitätsbibliothek gezeigt, welche nach Voranmeldung zu besichtigen ist (https://www.uni-erfurt.de/fileadmin/einrichtung/bibliothek/Infomaterialien/info_ASchimmel.pdf).
Ohne Voranmeldung sind einige Stücke am 23. Juni 2023 bei der Langen Nacht der Wissenschaften in der Universitätsbibliothek zu sehen. Die Inhaberin der Professur für Allgemeine Religionswissenschaft, Dr. Katharina Waldner, sowie Ayse Yasar, Doktorandin in der Religionswissenschaft, machen daraus lebendige Geschichte(n), indem Sie die in jeder Hinsicht bemerkenswerte Karriere dieser Wissenschaftlerin beleuchten, die von ihrer Arbeit sagte, sie sei eine „One-Women-Show“.
Annemarie Schimmels Autobiographie, die nur ein halbes Jahr vor ihrem Tod vollendet wurde, befindet sich in der Universitätsbibliothek Erfurt unter der Signatur BE 8607 S335 M8(4) (https://opac.uni-erfurt.de/DB=1/XMLPRS=N/PPN?PPN=363238492)
„Die ,Bibliotheca Amploniana‘ ist die größte heute beinahe geschlossen erhaltene Handschriftensammlung eines spätmittelalterlichen Gelehrten weltweit und zählt zu den bedeutendsten Handschriftensammlungen Deutschlands.“[1]
Aus diesem vielzitierten Satz soll heute das Wort „beinahe“ näher beleuchtet und ein großartiger Fund in einen größeren Kontext eingeordnet werden.
Der Arzt und Gelehrte Amplonius Rating de Berka erstellte um 1410-1412 einen Katalog seiner bis dahin zusammengetragenen Schriften und übergab diese Sammlung 1412 an das von ihm in Erfurt gestiftete Collegium Porta Coeli. Da er verfügte, dass jeder Stipendiat nach Abschluss seines Studiums dem Collegium mindestens ein Buch zu überlassen habe, wuchs die Büchersammlung – später auch mit Drucken – immer weiter an.
Auf der anderen Seite gingen im Laufe der Jahrhunderte vielleicht sogar mehrere hundert Handschriften verloren[2] oder gelangten auf unterschiedlichsten Wegen in anderes Eigentum.
Diebstähle sind bereits aus dem 15. Jahrhundert bekannt, und auch in späteren Zeiten waren die Bände nicht immer genügend gesichert und beaufsichtigt.
Der Mainzer Kurfürst und Erzbischof Lothar Franz Graf Schönborn (1695-1725) bediente sich aus den Beständen für seine Privatsammlung.
Im 18. Jahrhundert muss leider Vernachlässigung im Spiel gewesen sein. 1713 beschrieb der Erfurter Chronist Johann Michael Weinrich (1683-1727) seine Beobachtungen: „und ob sie gleich feine, auch rare Codices MStos haben mag, so wird ihrer doch ja wohl übel gehütet […], daß auf manchem Buch der Staub zwey Finger dick ruhe und niemand wisse, welches das oberste oder unterste Theil der Bibliothec bedeute.“[3]
Und: „Nach Eingehen des Kollegiums fand man 45 Codices so verfault und vermodert vor, daß man sich dazu entschloß, sie zu vernichten.“[4]
Zwei nach Münster gelangte Bände verbrannten während des Zweiten Weltkriegs.
Eine größtenteils durch Brand zerstörte Handschrift befindet sich aktuell noch im Depositum, als welches die Bibliotheca Amploniana heute – unter optimalen klimatischen und sicherheitstechnischen Bedingungen – in der Universitätsbibliothek Erfurt aufbewahrt wird.
Dep. Erf., CA 4° 208, https://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/HSP000604D600000000
Ehemals amplonianische Handschriften finden sich heute in der Schlossbibliothek Pommersfelden (bei Bamberg), in den Sammlungen der Bayerischen Staatsbibliothek in München, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Forschungsbibliothek Gotha sowie der Universitätsbibliotheken Dresden und Göttingen.
Eine genaue Bezifferung der Verluste oder gar eine genaue Rekonstruktion der amplonianischen Bestände in ihrer ursprünglichen Anzahl wird wohl kaum möglich sein.
Umso erfreulicher ist es also, wenn durch die Forschung Handschriften aus der Bibliotheca Amploniana wiederentdeckt werden. Dies geschah kürzlich in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: https://sub.hypotheses.org/1172
Ein wissenschaftlicher Bearbeiter wurde zunächst durch den für viele Amploniana-Bände typischen Einband[5] auf die mögliche Herkunft aufmerksam und fand sogar einen eindeutigen Besitzeintrag:
Eintrag im vorderen Spiegel der Göttinger Handschrift Kodex 8° Cod. Ms. hist. nat. 75 Cim.: „porte celi Jn Erffordia“, s. https://sub.hypotheses.org/1172
So schließt sich eine weitere Lücke in der Erforschung der „entfremdeten“ Handschriften der Amploniana.
Ob es vielleicht sogar eines Tages möglich sein wird, die bisher bekannten erhaltenen Handschriften aus den verschiedenen Sammlungen virtuell zusammenzuführen?
Ein lohnendes Ziel wäre es jedenfalls.