Laufen in der Stadt, die nicht schläft

Ein Bericht vom 38. New York Marathon von Jens Panse



Blick auf Freiheitsstatue und Manhattan
Die Hymne auf die Stadt hat einen einfachen Titel: „New York, New York“. Frank Sinatra vermittelt in seinem Lied in wenigen Worten die Faszination „I wonna wake up in the city, that doesn’t sleep“ – ich möchte aufwachen in der Stadt, die nicht schläft. Wir –also mein Erfurter Vereinskamerad Frank Becker und Lauffreundin Heike Fritzlar aus Mühlhausen - beschließen schon auf dem Flug von Frankfurt, die Zeile für uns umzudichten: „Wir wollen laufen in der Stadt, die nicht schläft.

Erstmal schlafen wir schlecht, denn die Zeitverschiebung von sechs Stunden ist nicht so leicht auszugleichen. Mit einem guten Frühstück gestärkt, machen wir uns am Samstagfrüh zum Internationalen Freundschaftslauf auf den Weg zum UNO-Hauptquartier. Die Läufer aus 100 Nationen treffen sich traditionell am Vortag des Marathons, um gemeinsam drei Meilen durch die City von New York zu absolvieren. Spätestens jetzt wissen wir, worin die Anziehungskraft des NYCM besteht. Es ist das größte und bunteste Läuferfestival der Welt. Japaner mit Pokemonkostümen, Franzosen in Stars & Stripes und die gesamte Starwars-Crew ist vertreten. Beliebtestes Fotomotiv sind aber die New Yorker Polizisten, die heute fröhlich in jede Kamera lächeln. Und in all dem Trubel treffen wir tatsächlich noch Erfurter Lauffreundinnen. Esther Goldberg mit Birgit Mittenzwey, die in New York ihren ersten Marathon absolvieren will, haben sich hinter der Schwarz-Rot-Goldenen Fahne ihres Reiseveranstalters versammelt und wir laufen gemeinsam die Sixth Avenue hinunter. Für viele Läufer ist es der Traum ihres Läuferlebens - New York, die Hauptstadt des American Way of life. Wer diese riesige, quirlige Stadt begreifen will, muss tatsächlich hinfahren und dort laufen – in dem ewigen Rumoren und Gehupe, Sirenengeheule und Gekreische. Das New York-Gefühl – wir erleben es hautnah.


Freundschaftslauf am UN-Gebäude
Den Rest des Tages verbringen wir mit Shopping auf der Marathonmesse und im Niketown, ebenfalls ein Läuferparadies, denn die Laufschuhe gibt es für die Hälfte des in Deutschland üblichen Preises. Und die Pastaparty am Vorabend des Marathons toppt ebenfalls alle vergleichbaren Veranstaltungen zuhause. Einen Wecker brauchen wir auch am Marathontag nicht. Der Blick in die Wetternachrichten von CNN erleichtert die Auswahl der Laufsachen. 10 Grad am Start, 14 Grad am Mittag und Sonne, bestes Marathonwetter also. Wir nehmen den Subway und genießen dann auf der South Ferry nach Staten Island die ersten Sonnenstrahlen auf dem Deck und den Blick auf die Brooklyn Bridge. Gestartet wird aber auf der längsten Hängebrücke der Welt, der Verrazano-Brücke, die Staten Island mit Brooklyn verbindet. Wir haben etwas Pech und müssen mit unserem Startblock in der unteren Etage der Bücke starten. Die 40.000 Läufer werden mit der amerikanischen Nationalhymne und – wie sollte es auch anders sein – „New York, New York“ auf die 42,195 Kilometer bzw. 26,2 Meilen lange Strecke geschickt. Nach 5 Meilen vereinigen sich 2 der 3 Startstrecken. Wir landen im Hauptfeld des blauen Blocks und müssen uns durch langsamere Läuferreihen kämpfen, was zur Folge hat, dass wir viel zu schnell werden und bereits jetzt drei Minuten im Plus zum Laufplan sind. Deshalb lasse ich auch lieber Frank Becker wenig später ziehen. Beim Weg durch Brooklyn finde ich mein Tempo und auch noch die Zeit, die vielen kleinen – fast ausschließlich schwarzen - Kinderhände abzuklatschen. „Brother, You make a good job!“, rufen die Väter. Wer kann sich dieser Stimmung schon entziehen? Eine Gemeinde hat ihren Gottesdienst vor die Kirche verlegt und man würde gern länger dem Gospelchor lauschen. Anders im Jüdischen Viertel. Die Anwohner stehen in voller Tracht - interessiert, aber nicht gerade begeistert - vor ihren Häusern. Mancher versucht gar das dichte Läuferfeld zu queren, um die Synagoge auf der anderen Straßenseite zu erreichen.

Bei Halbzeit und einer sensationell guten Zwischenzeit von 1:31 lasse ich Brooklyn hinter mir und gelange über die Pulaski-Bridge nach Queens. Viele Sehenswürdigkeiten erwarten die Läufer auch hier nicht, aber die begeisterten Zuschauer reichen Bananen und eine Band spielt Bruce Springsteen. Beim Anstieg auf der Queensboro-Bridge wird der Schritt langsamer. Lediglich der Blick auf die Skyline von Manhattan vermag im dunklen Untergeschoss der Brücke noch aufzumuntern. Dafür haben sich an der Rampe am Ausgang der Brücke unzählige Zuschauer versammelt, die uns auf die First Avenue treiben. Vier Meilen geht es jetzt kerzengerade durch Manhattan. Die Häuserschlucht will kein Ende nehmen. Dazu kommt ein leichter Gegenwind und mein Vorsprung schmilzt. Sechs Meilen vor dem Ziel geht es noch kurz in die Bronx und die letzte Brücke führt nach Harlem. Über die Fifth Avenue erreichen wir den Central Park. Jetzt kommen noch die letzten boshaften kleinen Anstiege. Die ersten 3:15 Tempo-Läufer ziehen vorbei. Dennoch habe ich die Hoffnung, dass ich heute noch unter meiner alten, vor drei Jahren in Athen erzielten Bestzeit von 3:16, bleiben kann. Das Ziel kommt in Hörweite, die Zuschauer stehen jetzt in 5-er Reihen und treiben die erschöpften Läufer an. Noch 1 Meile, ich mobilisiere die letzten Kräfte, der Blick zur Uhr. Geschafft! 3:13:55 bedeuten am Ende Platz 1809 im Läuferfeld und ein neue Bestzeit. Frank Becker ist schon mehr als 8 Minuten im Ziel, verfehlt seine Bestmarke als 1130. nur um knappe 4 Sekunden. Beide stehen wir damit auf der ersten Seite der in der New York Times veröffentlichten Ergebnisliste der unter 5-Stunden-Läufer, die auch die neue persönliche Bestzeit von Heike Fritzlar mit 3:47:32 auflistet. Birgit Mittenzwey, Katie Holmes, Alexander Duszat (alias „Elton“) und Esther Goldberg schaffen es zwar nicht unter die besten 30.000 Finisher, erreichen aber in dieser Reihenfolge mit Zeiten zwischen 5:20 und 5:50 ebenfalls erfolgreich das Ziel im Central Park. Der Letzte kommt nach 9:51 Stunden und geht mit Laufsachen und Wärmefolie gleich durch zur Läuferparty. Es gibt sicher schönere Laufstrecken und leichtere Marathonläufe als in New York, aber um auf Frank Sinatra zurückzukommen: „If I can make it there, I’d make it anywhere“ - wenn ich es dort schaffe, schaffe ich es überall!

Euer/Ihr Jens Panse

5. November 2007


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