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Noch 57 Tage bis New York
Guten Tag liebe Lauffreunde,
Heute ist ein besonderer Tag in meiner Vorbereitung auf den New York Marathon. Im Berner Oberland am Fuße von Eiger, Mönch und Jungfrau starte ich zusammen mit drei USV-Läufern und einer ganzen Reihe weiterer Erfurter Läuferinnen und Läufer zum 15. Jungfrau-Marathon, der zugleich die Langdistanz Berglauf Weltmeisterschaft 2007 ist. Wo hat man als Volksläufer schon mal die Chance an einer Weltmeisterschaft mit 4.300 weiteren "Verrückten" aus 47 Ländern teilzunehmen? In der Schweiz geht das, dank guter Beziehungen von Frank Lehmann vom Laufladen Erfurt, dem wir die begehrten Startkarten zu verdanken haben. Ein bisschen verrückt muss man schon sein, wenn man die, mit insgesamt 1839 Höhenmetern gespickte, 42,195 Kilometerstrecke in Angriff nimmt. Dafür erwartet die Teilnehmer, eine der schönsten Panoramalaufstrecken der Welt.
Eine Zeit unter 5 Stunden habe ich mir vorgenommen. Lächerlich für einen normalen Marathon, respektvoll für einen Marathon dieser Kategorie, der für mich auch eine Premiere darstellt. Immerhin muss ich aktuell 86 Kilo auf 2.200 Meter Höhe bewegen. Alle anderen außer vielleicht der im.puls-Vorsitzende Olaf Kleinsteuber scheinen hier in einer anderen Gewichtskategorie zu starten. Bei der Startnummerausgabe im Casino von Interlaken lasse ich mir dann doch einen Zeitplan für eine Zielzeit von 4:45 ausdrucken. Unterwegs kann ich mich ja noch entscheiden. Genauso hat es Joachim aus Kerspleben gemacht. Also beschließen wir abends im Hotel, dass Unternehmen Bergmarathon gemeinsam anzugehen. Wir starten um 9.00 Uhr bei strahlendem Sonnenschein und geschätzten 15 Grad auf 566 Metern Höhe in Interlaken, die Jungfrau immer im Blick. Da sich das Wetter auf dem Berg ändern kann, ziehe ich über das Lauf-Shirt noch ein Laufhemd. Auch hier habe ich für später noch Entscheidungsvarianten. Ich beginne den Marathon so langsam wie noch nie zuvor in meinem Leben. Bei der 5 Kilometer-Runde durch die Stadt muss ich mich immer wieder bremsen. Ein malerischer Blick auf den Brienzersee, dann geht es ins Tal Richtung Zweilütschinen. Die Strecke gesäumt von insgesamt ca. 20.000 begeisterten Schweizern und mitgereisten Läuferangehörigen. An der Strecke stehen keine Musikkapellen, wie man sie von hiesigen Stadt-Marathons kennt sondern Gruppen mit originellen Instrumenten, allen voran den berühmten Glocken, in der Schweiz "Treichel" genannt. Männer und Frauen lassen die schweren und lauten Teile an einem prachtvollen Gurt befestigt im Takt zwischen den Beinen baumeln. Während wir uns über die Auswirkungen dieser Art des Musizierens auf die Zeugungsfähigkeit Gedanken machen, steht schon der erste Läufer mit Krämpfen am Wegesrand. Der Ärmste, dabei fängt der Marathon doch erst richtig bei Kilometer 26 an. In Wilderswil bei Kilometer 10 geht es erstmals leicht bergan. Ein örtlicher Jagdverein verschießt seine halbe Jahresmunition als Salut. Vielleicht haben die wackeren Eidgenossen aber auch einfach noch nicht ihre "Schießverpflichtung" erfüllte, zu der jeder männliche Schweizer unter 35 Jahren verdonnert ist. Ein paar Kilometer weiter schließt mit Lars Güntsch ein weiterer Erfurter Läufer zu uns auf. Er hat seinen Vereinskameraden Ronny verloren, der ebenfalls Probleme mit dem Knie hat. "Die jungen Menschen sind nicht mehr belastbar", stellen wir über 40-jährigen frotzelnd fest und weil Lars heute den Marathon in geselliger Gemeinschaft genießen möchte, setzen wir unseren Lauf als Trio fort. In Lauterbrunnen bei Kilometer 20 machen wir ein kleines Fotoshooting und amüsieren uns über die zunehmende Anzahl an Läufern, die mit orthopädischen Stützstrümpfen unterwegs sind. Allerdings trübt ein Grummeln in der Bauchgegend meine gute Laune. Wertvolle Zeit mit einem Toilettengang verschwenden, auch das wäre eine Premiere für mich bei einem Marathonlauf. 5 Kilometer geht es noch durchs Tal entlang der Trümmelbachfälle. Immer wieder schwebt der Blick nach oben zur 4000 Meter hohen Jungfrau, dann beginnt der steile Aufstieg und mit ihm das "kollektive Wandern". 3 Kilometer weiter und 500 Meter höher ist der Ort Wengen erreicht. Zu unserem Zeitplan haben wir noch immer 8 Minuten Vorsprung. Eine sensationelle Stimmung, an Seilen über die Strecke gespannte Laufschuhe und Shirts empfangen uns Läufer und man wird wieder vorangetrieben. Zweimal begrüßt mich ein Sprecher über die Beschallungsanlage - wahrscheinlich wegen meinem auffälligen roten Kopftuch. Ich werfe mein eines Laufshirt kontrolliert ab und bitte eine Läuferbegleitende Frau aus unserer Reisegruppe um Mitnahme. Am Ende vom Ort muss ich dann noch weiteren Ballast abwerfen. Der Chef nickt nur verständnisvoll als ich in sein an der Strecke gelegenes Hotel stürze. In Deutschland hätte man wahrscheinlich die Türen abgeschlossen, hier bekommen die Angestellten von Geschäften und Apotheken dienstfrei, um die Läufer anzufeuern. 5 Kilometer weiter habe ich zumindest einen aus unserem Trio wieder eingeholt, aber Lars ist schon völlig auf Sightseeingtrip abgehoben und da es mir noch erstaunlich gut geht laufe ich an ihm vorbei, hoch zum Verpflegungspunkt "Wixi" (kein Schreibfehler). Die Alpenhörner höre ich, von den Fahnenschwingern lasse ich mir später nur berichten, weil ich schon im Gedanken auf dem letzten heftigen Anstieg bin. Noch einmal geht es 400 Meter bergauf. Ein schmaler steiniger Weg führt über eine Moräne hinauf zum Eigergletscher. Immer wieder kommt es zum Stau, weil Läufer mit Krämpfen die Strecke blockieren oder vereinzelt Wahnsinnige noch versuchen zu überholen. Mehr als 45 Minuten brauche ich so für die letzten 4 Kilometer. Aufatmen als der höchste Punkt erreicht ist. Ein Stück Schokolade krönt die hervorragende Streckenversorgung. Ein Dudelsackspieler im Schottenrock bläst zum Finale. Ich bin froh, dass ich endlich wieder laufen kann und setze zum Schlusspurt um Platz 1147 an. Bei 4:51:30 bleibt die Uhr für mich stehen. Knapp 2 Stunden nach dem Sieger und Weltmeister Jonathan Wyatts aus Neuseeland erreiche ich relativ fit das Ziel an der Kleinen Scheidegg, erhalte meine silberne Finishermedaille und warte auf Lars für das Zielfoto. Auch er schafft es noch unter 5 Stunden. Thomas Schlimbach läuft wenige Minuten später ein. Peter Flock (in 4:19:04) als 421. unser Schnellster und Frank Becker (4:26:56) sind da schon geduscht und warten auf uns. Beim "Erdinger" in der Sonne mit Blick auf die berühmte Eigernordwand werden dann schon wieder neue Pläne geschmiedet, der Zermatt-Marathon sei noch schwerer meint Peter ganz zu schweigen vom Swiss-Alpine in Davos. Einen schöneren Lauf als den gerade absolvierten, kann ich mir aber gar nicht vorstellen und New York ist mit einmal so weit weg.
Euer/Ihr Jens Panse
8. September 2007
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