Mit Fördermitteln in Höhe von rund fünf Millionen Euro unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) in den kommenden vier Jahren eine neue Kollegforschungsgruppe am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt. Sie trägt den Titel „Religion und Urbanität: Wechselseitige Formierungen“ und beschäftigt sich mit der Frage, wie religiöse Praktiken und städtischer Raum sich in der Geschichte wechselseitig beeinflusst haben. Hauptantragsteller sind die Historikerin Prof. Dr. Susanne Rau und der Religionswissenschaftler Prof. Dr. Jörg Rüpke.
Jerusalem wie Alexandria, Antiochia, Rom, Konstantinopel, oder Wittenberg wie Genf, Mekka wie Medina, Varanasi mit Sarnath wie Pataliputra/Patna bezeichnen Städte, die für die Religionsgeschichte entscheidende Veränderungen bedeutet haben. Zugleich verdanken diese Orte und andere Pilgerstädte, aber auch Hafenstädte wie Surat und Hamburg oder Handelszentren wie Lyon und Amritsar religiösen Akteuren, Praktiken und Vorstellungen ihr Stadtbild und die in diesen Orten gepflegten und sich immer wieder verändernden Lebensweisen. Die Ausbildung neuer Formen von städtischer Öffentlichkeit wiederum veränderte religiöse Raumpraktiken oder rief diese hervor – etwa Errichtung von Theatern in der Antike, Umbildung von Kirchhöfen in Plätze, von Kinos in Pfingstkirchen. Räume wie Heiligtums- oder Friedhofsarchitektur veränderten städtische Topografie und deren Nutzerströme, vom kurzfristigen Stadt-Besucher, über seit Generationen ansässige Einwohner bis hin zu residierenden oder nur gelegentlich präsenten Herrschern.
Solche Veränderungen in religiösen Praktiken, zumal in ihrer Pluralität und Diversität, wurden bislang jedoch nur punktuell in den Disziplinen der Stadtforschung als Produzenten von städtischen Räumen und städtischen Lebensweise ernstgenommen. Das umgekehrte Defizit lässt sich in der Religionsforschung beobachten, die nur ganz punktuell nach spezifisch städtischen Ursachen oder Kontexten religiösen Wandels gefragt hat. Erst jetzt, da beobachtet und auch beklagt wird, dass mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten lebe und Urbanisierung die Welt bis in entfernteste Winkel präge, und somit neben der produktiven und innovativen Rolle von Metropolen die sozialen und ökologischen Probleme von Verdichtung in den Blick geraten, wird die wechselseitige Beziehung von religiösen Akteuren und Praktiken einerseits und städtischem Raum und Administration andererseits zum Thema von Forschung.
Diese beschriebene Forschungslücke will nun die Kollegforschungsgruppe füllen, indem sie die historische Tiefe der wechselseitigen Formierung untersucht: Welche Rolle spielen religiöse Akteure, Praktiken und Vorstellungen für die Entstehung und fortlaufende Entwicklung von Städten und „Urbanität“? Welche Rolle spielten städtische Akteure, Räume und Praktiken für die Entstehung und fortlaufende Entwicklung von religiösen Gruppen und „Religion“? Das sind die Ausgangsfragen, mit denen die Erfurter Wissenschaftler exemplarisch Europa, den zirkum-mediterranen Raum und Südasien in den Blick nehmen wollen. Ihr historischer Zugriff greift bis zu Stadtgründungen im 1. Jahrhundert v. Chr. zurück. „Unser Ziel ist es, durch den Fokus auf Religion neue Einsichten in die historische Vielfalt der Formierung städtischer Lebensformen und des Modells „Stadt“ zu gewinnen“, erklärt Professor Rüpke. Und Prof. Susanne Rau ergänzt: „Durch den Fokus auf Urbanität wollen wir zugleich die Ausbildung religiöser Pluralisierungen, wie z.B. Religionen, besser verstehen und darstellen können.“
Die Kollegforschungsgruppe wird in der ersten Phase des Projektes anhand von Fallstudien über einzelne oder Gruppen von Städten die Phänomene wechselseitiger Veränderungen epochal und regional vergleichen. Dies wird – und hier liegt die methodische Innovation – durch ein Raster verknüpft, das stadt- und religionsgeschichtliche Fragen stets miteinander verbindet. In einer zweiten Phase soll es dann um Konzepte zur Stadt- und Religionsgeschichte gehen. Dabei werden auch die Wechselwirkungen und die jeweilige Bedeutung von Urbanität und Religion füreinander und in ihrer Verschränkung als städtische und religiöse Gesellschaften berücksichtigt. Die gemeinsam erarbeiteten Forschungsergebnisse sollen anschließend in Monografien, Sammelbänden und wissenschaftlichen Artikeln veröffentlicht werden.
Prof. Dr. Walter Bauer-Wabnegg, Präsident der Universität Erfurt: „Wir freuen uns über die Förderzusage der DFG, die nicht nur eine große Anerkennung unserer Forschungsleistungen bedeutet, sondern auch das besondere Profil unserer Universität unterstreicht.“
Weitere Informationen:
www.uni-erfurt.de/go/urbrel