Die Schülerzahlen sinken, insbesondere in ländlichen Regionen. Die bildungspolitische Reaktion darauf ist nicht selten die Einrichtung von Schulzentren mit großem Einzugsbereich. Für Schüler bedeutet dies allerdings häufig, dass die Schulwege erheblich länger ausfallen als dies bei Schulen mit kleinerem Einzugsbereich der Fall wäre: Tägliche Schulwege von zwei Stunden und mehr sind keine Seltenheit. Ralf Rummer, Professor für Allgemeine Psychologie und Instruktionspsychologie an der Universität Erfurt, und Petra Herzmann, Professorin für Empirische Schulforschung an der Uni Köln, haben dazu jetzt eine Studie vorgelegt, die Überraschendes zutage fördert.
„Unsere Studie befasst sich mit der Frage, wie sich die Dauer und Art des Schulwegs auf die schulischen Leistungen auswirkt“, erklärt Ralf Rummer. „Dazu haben wir 137 Schülerinnen und Schüler der 6. Jahrgangsstufe eines großen, im ländlichen Raum angesiedelten Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen ins Visier genommen und im Rahmen einer korrelativ angelegten Studie die Dauer des in öffentlichen oder privaten motorisierten Verkehrsmitteln zugebrachten Fahrweges zwischen Wohnort und Schule sowie die Dauer des entsprechenden Fahrrad- oder Fußwegs erhoben.“ Darüber hinaus haben die Wissenschaftler Hausaufgabenzeiten und Schlafzeiten erfasst. Im Zentrum der Studie stand die Frage, wie sich die entsprechenden Wegzeiten auf die Schulleistungen (d.h. die Schulnoten des vorangegangenen Halbjahres) auswirkten.
Erstaunlich: Die Daten weisen signifikante korrelative Zusammenhänge zwischen dem in öffentlichen Verkehrsmitteln absolvierten Schulweg und der Gesamtdurchschnittsnote und der Durchschnittsnote der Kernfächer aus: Je länger die Schüler in Bussen, Bahnen oder Pkw unterwegs waren, desto schlechter fielen ihre Schulnoten aus. Neben diesem zentralen Befund zeigte sich ein negativer korrelativer Zusammenhang zwischen Fahrzeiten und Schlafzeiten: Je länger die Kinder in motorisierten Verkehrsmitteln unterwegs waren, desto kürzer schliefen sie. Darüber hinaus zeigte sich, dass Kinder mit langen Fahrzeiten sogar mehr Zeit auf die Erledigung der Hausaufgaben (sowie der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts) verwenden als Kinder mit kürzeren Anfahrtszeiten. Interessanterweise zeigte sich kein leistungsbeeinträchtigender Effekt der zu Fuß bzw. mit dem Fahrrad zurückgelegten Zeiten.
Rummer: „Basierend auf weiteren statistischen Analysen haben wir festgestellt, dass nicht in erster Linie fehlender Schlaf oder weniger häusliche Lernzeit für die beeinträchtigende Wirkung langer Fahrzeiten verantwortlich sind, sondern dass sich die in Bussen, Bahnen oder Pkw verbrachte Zeit direkt in negativer Weise auf die Schulleistungen auswirkt. Dieser Befund ist auch deshalb bemerkenswert, weil die elterliche Bereitschaft, Kinder im mittlerem Leistungsbereich auf ein Gymnasium schicken, stärker mit der Entfernung zwischen Wohnort und Schule abnimmt, während diese Entfernung bei Kindern mit überdurchschnittlichen Leistungen weniger ausschlaggebend ist“.
Weitere Informationen / Kontakt:
Prof. Dr. Ralf Rummer
- +49(0)361/737-2201
- ralf.rummer@uni-erfurt.de