An sein 20-jähriges Bestehen erinnert das Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt vom 6. bis 7. Juli mit einer wissenschaftlichen Tagung unter dem Titel: „20 Jahre Sonder- und Sozialpädagogik in Erfurt. Eine Profession im Umbruch“. Dazu werden etwa 300 Teilnehmer erwartet. Dabei sind auch ehemalige Lehrende als Referenten angekündigt. Die Veranstalter erhoffen sich außerdem, viele ehemalige Studierende bei der Tagung begrüßen zu können.
Alles begann 1992, als es in Thüringen noch keine Ausbildung für Förderschullehrer gab: An der damaligen Pädagogischen Hochschule Erfurt wurde das Institut für Sonder- und Sozialpädagogik eingerichtet, zunächst überwiegend für Nachqualifizierungen. Der Bedarf war groß, der Personalbestand dagegen überschaubar. In einem berufsbegleitenden Aufbaustudiengang wurden die Studierenden innerhalb von vier Semestern zu Förderschullehrern ausgebildet. Das Institut wuchs. Die Fachrichtungen hatten damals noch Bezeichnungen wie „Lernbehindertenpädagogik“, „Geistigbehindertenpädagogik“ und „Verhaltensgestörtenpädagogik“ – heute kaum mehr denkbar. Es gab den Diplom-Studiengang Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Sonderpädagogik und Sozialpädagogik. Heute bietet das Fachgebiet vier Studiengänge: den Bachelor-Studiengang Förderpädagogik, den Master Sonder- und Integrationspädagogik, der für außerschulische Bereiche qualifiziert, das weiterbildende Master-Programm Lehramt Sonderpädagogik und den zum Wintersemester 2011/12 erstmals angebotenen Master Lehramt Förderpädagogik. Drei Professuren tragen das Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik: Pädagogik bei Erziehungsschwierigkeiten, Allgemeine Sonderpädagogik und Integration, Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen und Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung. Außerdem gibt es seit zwei Jahren die Juniorprofessur Pädagogik bei Störungen in Sprache und Kommunikation/Entwicklung von Sprachkompetenz. Mit dabei ist seit 1996 Harald Goll, Professor für Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung. „Mit der Integration der Pädagogischen Hochschule in die neue Universität Erfurt kam auch die Umstellung auf die modularisierten Studiengänge – eine echter Umbruch“, erinnert sich Goll. „Und mit der Einführung des Bachelor-/Master-Systems wurde auch der Dienstag als zentraler Studientag relativiert, die Lehrveranstaltungen wurden stärker auf die Woche verteilt. Das war eine enorme Arbeitserleichterung – nicht nur für uns Lehrende.“
Die Nachfrage nach den Studiengängen des Fachgebiets ist bis heute ungebrochen, nicht zuletzt weil Sonder- und Sozialpädagogik in der deutschen Hochschullandschaft selten zusammen angeboten werden. So weist das Fachgebiet innerhalb der Universität Erfurt immerhin die zweithöchste Studierendenzahl auf. Und auch die Absolventenzahl kann sich sehen lassen: Bis heute haben weit mehr als 1000 Studierende ihren Abschluss in Sonder- und Sozialpädagogik gemacht. Und nach ihrem Abschluss finden die Absolventen in der Regel auch sehr schnell einen Job.
Bei der Jubiläumstagung im Juli wird „Inklusion“ ein großes Thema sein, eine optimierte und erweiterte Form der Integration, die auf die allgemeine Pädagogik abzielt und Separation und Diskriminierung von Risikogruppen überwinden will. Die Organisatoren legen deshalb großen Wert darauf, dass es eine barrierefreie Tagung wird, d.h. auch für Menschen mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung. Deshalb werden auch Gebärdensprachdolmetscher dabei sein und Seminare in leicht verständlicher Sprache abgehalten. Apropos Inklusion: Mit der seit 2009 geltenden UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland verpflichtet, ein inklusives Schulsystem zu verwirklichen. Dies bedeutet aber auch, eine Veränderung der Grund- und Regelschulpädagogik und der damit verbundenen Ausbildung angehender Lehrkräfte. „In den vergangenen 20 Jahren hat sich schon viel getan, gerade in Schulen und auch in den außerschulischen Einrichtungen. Die Absonderung behinderter Menschen ist Schnee von gestern“, erklärt Harald Goll. Das Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik an der Universität Erfurt könne mit seinen Studiengängen dazu beitragen, die inklusive Bildung in Deutschland voranzubringen.