Mit Beteiligung von Arabisten, Theologen, Philologen und Philosophen hat sich unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Mulsow, Direktor des Forschungszentrums Gotha der Universität Erfurt, am vergangenen Wochenende ein international besetzter Arbeitskreis gegründet, der sich mit der Erforschung der Frühgeschichte der Orientalistik - also der Wissenschaft von den Kulturen des Nahen Ostens - beschäftigt.
„Bereits vor der Einrichtung von eigenen Lehrstühlen im späten 18. Jahrhundert hat es ein frühes, wissenschaftliches Interesse an der orientalischen Kultur gegeben“, erläutert Professor Mulsow. Meist seien es Theologen gewesen, die sich um ein besonders akribisches Bibelverständnis bemüht hätten. So sei im 17. und frühen 18. Jahrhundert eine reichhaltige Literatur entstanden, die bisher noch kaum wahrgenommen worden sei. Auf „Tausende von Schriften“ schätzt Mulsow deren Zahl. Gemeinsam „erste Schneisen“ in dieses bisher kaum kartografierte Feld von Disputationen, Enzyklopädien, Editionen oder antiquarische Untersuchungen zu schlagen, das haben sich nun Wissenschaftler aus England, Israel und der Schweiz auf dem Gothaer Schloss Friedenstein vorgenommen. Beteiligt sind zunächst neben Professor Mulsow vier weitere Wissenschaftler: Bernd Roling ist Professor für mittellateinische Philologie an der Freien Universität Berlin und Kenner gelehrter lateinischer, jüdischer und arabischer Traditionen vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert; Jan Loop arbeitet am Warburg Institute London an einer Habilitationsschrift zum Schweizer Orientalisten Johann Jakob Hottinger; Dietrich Klein (München) schreibt an seiner Habilitation zur Arabistik und Islamwissenschaft unter lutherischen Theologen des 17. und 18. Jahrhunderts und Asaph Ben-Tov (Jerusalem) kommt von der klassischen Philologie, ist Minerva-Stipendiat am Forschungszentrum Gotha und arbeitet über akademische Dissertationen um 1700 zu den Bereichen antiker Religion sowie griechischer und arabischer Philologie. Weitere Personen werden hinzustoßen.
Neben regelmäßigen Arbeitstreffen und der Vorbereitung von Tagungen wird die gemeinsame Erschließung herausragender Orientalisten der Frühen Neuzeit im Mittelpunkt der Arbeit stehen. Als erste Aufgabe hat sich das Netzwerk das umfangreiche Werk des Helmstedter Orientalisten Hermann von der Hardt (1660-1746) vorgenommen, der mehr als 150 Schriften publiziert hat - ein ideales Projekt für das Netzwerk, glaubt Mulsow, denn „solch eine Aufgabe lässt sich nur im engen interdisziplinären Austausch lösen“. Zudem sei Hermann von der Hardt eine interessante Forscherpersönlichkeit gewesen, die alle Mitglieder des Netzwerks fasziniere: „In seinem Nachlass liegen die verrücktesten Geschichten verborgen“ - von Geheimschriften bis zu einer frühen Form eines Comic-Strips, die der Professor seinem Herzog schickte, als seine Bücher konfisziert wurden. Mulsow: „Aber um sie erzählen zu können, muss man sich erst einmal durch den dicken Kuchen der orientalistischen Gelehrsamkeit hindurchfressen.“
Mit der Gründung des Netzwerk Frühneuzeit-Orientalistik baut das Forschungszentrum Gotha sein Forschungsprofil weiter aus. Bereits in den vergangenen Monaten haben Gastaufenthalte der Islamwissenschaftlerinnen Patricia Crone (Princeton) und Beatrice Gründler (Yale) aus aktuellen Vorhaben zur islamischen Literatur der frühen Neuzeit berichtet. Am 18. Januar 2011 geht es dann bei Stefan Reichmuth (Bochum) um die Annäherung an islamische Gelehrte im 18. Jahrhundert.
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Dr. des. Miriam Rieger
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