Die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt hat heute eine bedeutende Ovid-Handschrift aus dem 14. Jahrhundert präsentiert, die jetzt restauriert worden ist. Bei der Gothaer Pergament-Handschrift Ovidius moralizatus des Petrus Berchorius (ca. 1290–1362) handelt es sich um eine grundlegend neue, christlich geprägte allegorische Deutung der „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid, die um 1350 in Oberitalien mit einer auf über 200 Bilder angelegten Illustrationsfolge entstand. Sie ist nicht nur der älteste Kodex, sondern gegenüber den beiden anderen aus dieser Zeit noch erhaltenen Handschriften künstlerisch auch von hervorragender Qualität, jedoch noch immer weitgehend unbekannt. Sie musste aufgrund zahlreicher Schadensbilder aufwendig restauriert werden und erstrahlt nunmehr im neuen farbenprächtigen Glanz.
Die „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid sind bis heute eines der populärsten mythologischen Werke der Weltliteratur überhaupt. Sie erzählen in 250 Sagen die Geschichte der Welt, zumeist in Geschichten der Verwandlung eines Menschen in Pflanze, Tier oder Sternbild. Die bekannteste christliche Interpretation ist die des Petrus Berchorius in dessen „Ovidius moralizatus“ aus dem Jahr 1340. Bereits zehn Jahre später, um 1350, entstand in Oberitalien zu diesem Text eine auf über 200 Bilder angelegte Illustrationsfolge. Nur drei dieser illustrierten Handschriften sind überliefert; die Gothaer Pergamenthandschrift (Signatur Memb. I 98, 69 Bl., 36,5 x 25,5 cm) ist dabei nicht nur der älteste Kodex, sondern gegenüber den beiden anderen aus dieser Zeit noch erhaltenen Handschriften aus Bergamo und Treviso auch künstlerisch von hervorragender Qualität.
Von den mehr als 200 Szenen sind in der großformatigen Gothaer Handschrift immerhin 105 Szenen ausgeführt. Sie enthält damit einen der umfangreichsten Illustrationszyklen des Mittelalters und erzählt in der Symbiose von Text und Bild anschaulich und fesselnd die von Ovid geschilderten Mythen nach. Gerade die Grenzerfahrungen der von Ovid sensibel beschriebenen Verwandlungen und die Reaktionen der betroffenen Figuren sind in den Gothaer Illustrationen mit ausdrucksstarker Fantasie und exzellent herausgearbeitet. Da ein Teil der Miniaturen nur als Skizze angelegt wurde und nicht zur Ausführung kam, bietet die Handschrift zusätzlich interessante Aufschlüsse zum Werk- und Entwurfsprozess in den großen Buchmalereiwerkstätten Oberitaliens. Die Gothaer Handschrift gelangte aus der römischen Bibliothek des Grafengeschlechtes der Fieschi vor 1713 in die Herzogliche Bibliothek Gotha und zählt zu den Spitzenstücken der bedeutenden Handschriftensammlung auf Schloss Friedenstein Gotha.
Der konservatorische Zustand der Ovid-Handschrift, besonders der wertvollen Illustrationen, war vor der Restaurierung sehr unbefriedigend und ließ mögliche Belastungen – etwa durch die wissenschaftliche Bearbeitung oder durch Ausstellungspräsentationen – nicht zu. Bei einer Restaurierung 1960 wurde die Ovid-Handschrift mit einem neuen Einband versehen und gereinigt. Jedoch wurden die Pergamentblätter mit den Miniaturen nicht behandelt. Die Deckel des neuen Einbandes wölbten sich aufgrund ihrer Herstellungstechnik stark nach außen. Die Pergamentblätter waren besonders im Randbereich leicht bis stark wellig. Die Illustrationen der Ovid-Handschrift waren im gesamten Band aufgrund der Materialeigenschaften zum Teil stark geschädigt. Die Malschicht wies vor allem an den vorderen Blättern zahlreiche Fehlstellen und Haarrisse auf. Die Schrift im Textbereich war an einigen Blättern stark abgerieben. Die Tinte war aber stabil. Die Restaurierung zielte auf eine Erfassung der Schadensbilder und -kategorien und eine Konsolidierung der beschädigten Partien der Buchmalerei ab. Sie wurde von Peter Axer, einem auf mittelalterliche Pergamenthandschriften und Buchmalereien spezialisierten Restaurator, durchgeführt. Die Restaurierung begann mit einer detaillierten Untersuchung der Malschichten und einer exakten Erfassung und Dokumentation der Schadensbilder und -kategorien unter einem Spezialmikroskop. In Abhängigkeit von den Untersuchungsergebnissen und der Beschaffenheit der angrenzenden Malschicht wurde die Art der Konsolidierung an die verschiedenen Schadensbilder angepasst.
Die Restaurierung wurde vom Institut für Buchrestaurierung an der Bayerischen Staatsbibliothek München mit Expertise, sicheren Räumen und technischer Ausstattung unterstützt und durch eine großzügige finanzielle Förderung des Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder ermöglicht.
Weitere Informationen / Kontakt:
Dr. Sascha Salatowsky
- +49 361 737-5562
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