Im Nachgang zur diesjährigen Ausstellung „Mit Lust und Liebe singen. Die Reformation und ihre Lieder“ hat die Forschungsbibliothek Gotha das berühmte Gothaer Chorbuch von Martin Luthers Kantor Johann Walter (1496–1570) digitalisiert und in der Digitalen Historischen Bibliothek Erfurt/Gotha online zugänglich gemacht. Zum Themenjahr „Reformation und Musik“ ist damit jetzt eine der zentralen Quellen des protestantischen geistlichen Liedguts virtuell für alle Interessenten einsehbar.
Das Gothaer Chorbuch ist Teil der zahlreichen Gesangbuchschätze der Forschungsbibliothek Gotha. Als Spitzenstück der rund 3.000 Bände umfassenden Gesangbuchsammlung der Gothaer Herzöge zeugt es neben dem ersten evangelischen Gesangbuch aus dem Jahr 1524 von den Anfängen des reformatorischen Kirchenliedes. Das Chorbuch entstand unter der Ägide des Torgauer Kantors Johann Walters, der am Beginn der evangelischen Kirchenmusik stand und das mehrstimmige geistliche deutsche Lied schuf. Er ließ das Chorbuch im Auftrag des Kurfürsten Johann Friedrich I. von Sachsen (1503−1554) nach der Einweihung der neuen Kapelle auf Schloss Hartenfels in Torgau 1544 erstellen. Bestimmt war es für den dortigen Gebrauch.
Die prachtvolle Handschrift enthält nicht nur eigene Werke Walters, sondern auch das von ihm zusammengestellte gottesdienstliche Repertoire im protestantischen Mitteldeutschland um 1550. Enthalten sind zahlreiche lateinische und deutsche Lieder und Gesänge, Motetten, Gesänge de tempore, Messen und Vespergesänge etc. Viele enthaltene Lieder wie „Nun freut Euch lieben Christen g‘mein“, „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „Christ ist erstanden“ sind noch heute fester Bestandteil der evangelischen Kirchenliedpraxis.
Bevor das ursprünglich Torgauer zum Gothaer Chorbuch wurde, erlebte die Handschrift eine wechselhafte Geschichte: In den Wirren des Schmalkaldischen Krieges nahm Walter die Handschrift an sich und brachte sie 1553 nach Jena. Von dort gelangte sie in die Privatbibliothek des Sohnes von Kurfürst Johann Friedrich I., Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen (1529−1595), der auf der Festung Grimmenstein in Gotha residierte. Als Johann Friedrich II. nach ungeschickter Politik in die sogenannten Grumbachschen Händel verstrickt wurde, in kaiserliche Gefangenschaft geriet und die Burg Grimmenstein 1567 geschleift wurde, kam die Handschrift zusammen mit der herzoglichen Bibliothek von Gotha nach Weimar und 1574 nach Jena. 1590 wurde sie schließlich durch einen der Söhne Johann Friedrichs des II., Herzog Johann Casimir von Sachsen-Coburg (1564−1633), von Jena nach Coburg überführt. Dort wurde sie durch Herzog Albrecht von Sachsen-Coburg (1648−1699) dem Gymnasium Casimirianum geschenkt. Dessen Rektor, der Theologe Ernst Salomon Cyprian (1673−1745), wechselte 1713 von Coburg an die Herzogliche Bibliothek Gotha, deren Direktor er wurde. Im Auftrag Herzog Friedrichs II. von Sachsen-Gotha-Altenburg (1676−1732) erwarb sie Cyprian spätestens 1714 für die Herzogliche Bibliothek Gotha. Nach 170 Jahren „Wanderschaft“ erhielt sie den Namen Gothaer Chorbuch. Das Gothaer Chorbuch wurde 1946 mit den etwa 330.000 Bänden der Herzoglichen Bibliothek Gotha als Beutegut des Zweiten Weltkrieges in die Sowjetunion verbracht und kehrte 1956 nach Gotha zurück.
Link zum Digitalisat:
Johann Walter: Gothaer Chorbuch – Liber cantionum sacrarum Latinarum et Germanicarum. Torgau, 1545: http://archive.thulb.uni-jena.de/ufb/receive/ufb_cbu_00003521
Weitere Informationen im Webportal der Studienstätte Protestantismus:
www.uni-erfurt.de/studienstaette-protestantismus/protestantismus-digital/digitale-praesentationen/gothaer-chorbuch