Mit der Berichterstattung über ethnische Gruppen in regionalen Tageszeitungen haben sich Studierende der Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt in den vergangenen zwei Semestern im Rahmen der sogenannten Projektstudienphase beschäftigt. Die Ergebnisse ihrer Arbeit haben sie nun unter dem Titel „Stereotype Berichterstattung über ethnische Gruppen in regionalen Tageszeitungen“ beim 11. Projektforum der Universität erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und dabei Interessantes zutage gefördert.
„In unserer Studie haben wir unter anderem untersucht, wie nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie und darüber hinaus in regionalen Zeitungen aus Thüringen und Hessen mit Sprache umgegangen wurde und wie man bestimmte Personen oder Gruppen sprachlich bezeichnet hat“, erläutert Christian Schaft, einer der Autoren, den Hintergrund der Projektarbeit. „Wir haben dabei sprachliche Mechanismen gesellschaftlicher Ein- oder Ausgrenzung herausgearbeitet, aus denen wir schließlich Denkanstöße für Medienmacher, -nutzer und -politiker abgeleitet haben.“ Ein Beispiel: Jahrelang arbeitete die Sonderkommission „Bosporus“ an der Aufklärung der „Döner-Morde“. Die Ermittlungen blieben ergebnislos, denn entgegen der Vermutung standen die Morde an neun kleingewerbetreibenden, türkisch- und griechischstämmigen Männern nicht im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität, sondern wurden von der rechtsextremen Terrorgruppe NSU begangen. „Der Begriff der ‚Döner-Morde‘ ist schlichtweg entpersonalisierend. Diese stark reduzierte Darstellung der Opfer gab uns letztlich den Anstoß, zu untersuchen, ob generell in der Berichterstattung auf einseitige Beschreibungen von ethnischen Gruppen zurückgegriffen wird“, sagt Christiane Scharf, die die 140 Seiten starke Studie zusammen mit Christian Schaft, Elisabeth Addicks, Alina Sauer, Alina Beck und Anja Reith vorgelegt hat. „Ein falscher Blickwinkel auf die Geschehnisse war mit der stereotypen Benennung der Morde durch Polizei und Medien bereits vorgegeben. Und dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie mächtig die Sprache für gesellschaftliche Ein- und Ausgrenzungsprozesse ist. Aber wie über Gruppen unserer Gesellschaft geschrieben und geredet wird, ist von entscheidender Bedeutung für ihre Integration oder Diskriminierung. Deshalb kommt den Medien bei der Vermittlung von Nachrichten eine Schlüsselrolle zu.“
Für ihre Studie hatten die Studierenden im BA Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt Interviews mit Journalisten der Zeitungen „Thüringer Allgemeine“, „Freies Wort“, „Südthüringer Zeitung“, „Wiesbadener Tageblatt“ und „Oberhessische Zeitung“ geführt, nachdem sie zunächst Zeitungsberichte, in denen es um Themen und Angehörige ethnischer Gruppen ging, genauer unter die Lupe genommen hatten. Durch das breit angelegte Forschungsobjekt der „ethnischen Gruppe“ und die Ausgangsfrage: „Welche sprachlichen Stereotype werden bei der Berichterstattung über ethnische Gruppen in deutschen Tageszeitungen verwendet, und geschieht dies intentional oder nicht intentional?“ konnten die Studierenden eine Tendenz hinsichtlich der Stereotype in der medialen Berichterstattung aufzeigen. So seien die Journalisten von Printmedien in ihrer Berichterstattung über ethnische Gruppen im Vergleich zu früheren Studien durchaus sensibler geworden. Abwertende Begriffe wie „Asylant“ sind laut der Erfurter Studie kein Teil der journalistischen Sprache mehr. Demnach befassen sich Lokalzeitungen heute häufiger mit „Ausländer-Themen“ als zuvor und versuchen dabei, alle Bevölkerungsschichten abzubilden und zu thematisieren, zum Teil ließe sich sogar von einer Integrationsleistung sprechen. Die von den Studierenden ermittelten Stereotype zeigen jedoch, dass Journalisten nach wie vor auf diese Reduktionsform zurückgreifen. Allerdings geschehe dies, wie die Ergebnisse der Studie zeigen, nicht zwingend zum Nachteil der jeweiligen Minderheiten und nicht für jede ethnische Gruppe in gleichem Maße. Stereotype seien dabei oft der aktuellen Themenagenda geschuldet und zum Teil auch abhängig von journalistischen Darstellungsformen. So kommen sie beispielsweise in Kommentaren häufiger vor als in Reportagen oder Meldungen. Christian Schaft: „Wichtig ist, dass den Journalisten bewusst wird, dass es in ihrer Verantwortung liegt, einem unreflektierten und einseitigen Gebrauch von Stereotypen entgegenzuwirken, um ein ‚Denken in Schubladen‘ zu verhindern. Zwar mag für den Journalisten klar sein, inwieweit ein Stereotyp vertretbar ist, doch stellt sich die Frage, ob dies auch für die Rezipienten erkennbar ist“. Und Christiane Scharf ergänzt: „Journalisten setzen Themen und können durch ihre Berichterstattung zugleich den Blick in eine bestimmte Richtung lenken. Und es liegt dabei in ihrer Verantwortung, ein möglichst vielschichtiges Bild der Verhältnisse zu geben. Wünschenswert wäre es deshalb, dass sich Journalisten mehr Gedanken über die mögliche Wirkung ihrer sprachlichen Darstellung machen und dass sie sensibler mit der Charakterisierung ethnischer Gruppen oder Minderheiten umgehen“. Im Fall der sogenannten „Döner-Morde“ sei dies zwar größtenteils geschehen, allerdings erst im Nachhinein. Die Interviews zeigten laut der aktuellen Studie, dass durchaus eine Debatte zwischen den Journalisten stattfand und man versucht habe, Lehren aus dem Ereignis zu ziehen. Doch nicht nur bei großen medialen Ereignissen, sondern auch bei alltäglichen Gegebenheiten müssten sich Journalisten immer wieder selbst hinterfragen.
Übrigens: Die Erfurter Studierenden stellen ihre Studie am Montag, 9. Juli, erneut der Öffentlichkeit vor: bei einer Diskussionsveranstaltung, zu der die Friedrich Ebert Stiftung ins Augustinerkloster einlädt. Beginn ist um 18 Uhr, der Eintritt ist frei. Neben den Autoren diskutieren: Anita Grasser (Vorsitzende Deutscher Journalistenverband, Landesverband Thüringen), Peter Metz (MdL, SPD-Fraktion im Thüringer Landtag) und Sabine Berninger (Flüchtlingsrat Thüringen e.V.). Alle Interessierten sind dazu herzlich willkommen. Die Studie der Erfurter Studierenden soll in diesem Jahr mit Unterstützung der Friedrich Ebert Stiftung auch als kleine Broschüre veröffentlicht werden.