Universität Erfurt

Über die Sarrazin-Debatte und die Grenzen einer Kontroverse: Pressemitteilung Nr.: 60/2011 - 13.04.2011

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert bis zum Jahr 2014 ein neues Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft (Vergleichende Analyse von Mediensystemen und Kommunikationskulturen) der Universität Erfurt. Prof. Dr. Kai Hafez und Dr. Liriam Sponholz untersuchen dabei die öffentlichen Kontroversen in der nationalen und internationalen Presse zum Thema Rassismus und Diskriminierung sowie die damit zusammenhängenden Aussagen von Thilo Sarrazin, Oriana Fallaci und James Watson.

Darf man öffentlich sagen, dass Schwarze dumm oder, dass Muslime gewaltbereit (vor allem, aber nicht nur) gegen Frauen sind? Stellen diese Ansichten Tabus dar oder sind es nur einzelne Meinungen unter vielen? Reagieren die Medien in Deutschland „sensibler“ bei dieser Thematik als dies in anderen Ländern der Fall ist? In dem neuen Forschungsprojekt an der Universität Erfurt sollen nun Antworten auf diese Frage gesucht werden.

Der Ex-Finanzsenator und Ex-Bankier Thilo Sarrazin machte Medienkarriere, in dem er u.a. die Leistung von türkischen und arabischen Migranten auf die „Produktion von Kopftuchmädchen“ reduzierte. Die verstorbene Schriftstellerin Oriana Fallaci verglich Muslime mit Ratten und der Genetiker und Nobelpreisträger James Watson erlangte seinerzeit Berühmtheit mit Aussagen über die geringe Intelligenz von schwarzen Menschen. Wo aber liegen die Grenzen der öffentlichen Auseinandersetzung, wenn gruppenbezogene, biologische Unterschiede gegenüber schwarzen Menschen und kulturelle Unterschiede gegenüber Muslimen thematisiert werden? Die Analyse der Berichterstattung über diese Fälle in verschiedenen überregionalen Tageszeitungen aus Europa sowie aus Nord- und Südamerika soll Antworten darauf geben. Die Untersuchung an der Universität Erfurt wird dabei Länder einbeziehen, deren Kommunikationskulturen durch jeweils unterschiedliche historische und politische Erfahrungen mit diesen Themen geprägt sind. Während in Portugal und Spanien das Thema Rassismus durch den Kolonialismus bestimmt wird, erfolgt diese Diskussion in den USA vor dem Hintergrund der Rassentrennung. Und auch Brasilien wird in die Untersuchung einbezogen, weil das Land nach dem Zweiten Weltkrieg zum Vorbild der UNO in Bezug auf die Rassismus-Frage gemacht wurde. Damit rückte das Land ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Rassismus-Diskussion und generierte den Mythus einer „Rassendemokratie“. Die Erfurter Wissenschaftler werden außerdem untersuchen, wie die Kontroversen um Rassismus und Neorassismus in den deutschen Medien geführt werden, was vor dem Hintergrund der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus ebenfalls von besonderem Interesse ist.

Das Forschungsprojekt ist im April gestartet und wird bis 2014 gefördert. Prof. Hafez ist Kommunikations- und Politikwissenschaftler und verbrachte mehrere Forschungsaufenthalte an ausländischen Universitäten, darunter der Oxford University und zuletzt der American University in Kairo. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Islamophobie. Dr. Liriam Sponholz ist Journalistin, promovierte in Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig zum Thema „Journalistische Objektivität“ und forscht zum Verhältnis zwischen Wissenschaft, Journalismus und Commonsense.

Weitere Informationen / Kontakt:

Prof. Dr. Kai Hafez

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