Mit Fördermitteln in Höhe von rund 100.000 Euro unterstützt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein Forschungsprojekt an der Universität Erfurt. Gegenstand des Projekts von Prof. Dr. Gunther Mai, der seit Oktober 2010 Fellow am Max-Weber-Kolleg für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Uni ist, ist zum einen die Analyse der sozialen und kulturellen Beziehungen zwischen Europäern und Marokkanern besonders in der Zeit von 1878 bis 1914/18. Zum anderen geht es um die Selbstverortung der Marokko-Deutschen in diesem Prozess, in dem Rebellion und Bürgerkrieg die Folge europäischen Eindringens waren und zugleich Ursache wurden von neuen europäischen Interventionen und zum Instrument im innereuropäischen Kampf um die Hegemonie im Scherifenreich.
Wie erfuhr, deutete und verarbeitete die kleine Gruppe der Marokko-Deutschen die kulturelle Differenz? Wie weit waren die Deutschen angesichts ihrer dauerhaften Ansiedlung bereit, sich auf marokkanische Lebensformen und kulturelle Praktiken einzulassen? Damit im engen Zusammenhang steht die Frage: Wie lässt sich in dieser (halb )kolonialen Gesellschaft das Neben- und Miteinander von Arabern, Juden und Europäern analytisch fassen? Das mehrschichtige Geflecht von Kontakten und Konflikten erlebte eine seit 1900 wachsende Dynamik. Mit der Verstetigung der kulturellen Kontakte und der Intensivierung der Austauschbeziehungen verlor nicht nur die marokkanische Teilgesellschaft ihre innere Ordnung, sondern auch die der Europäer; die Konflikte innerhalb der Teilgesellschaften wie zwischen ihnen nahmen zu. All das zwang die Marokko-Deutschen, sich in dieser Konstellation ständig nach allen Seiten neu zu verorten. Sie sahen sich in einer permanenten Defensive - einerseits gegenüber dem fremden Land, seinem Klima, seinen Krankheiten, seiner Religion, seiner Kultur und andererseits gegenüber der wachsenden französischen Übermacht und der eigenen handlungsunwilligen Regierung.
Für eine solche Studie gibt es bis heute nur wenige Vorbilder, auch in der britischen oder französischen Forschung. Mithilfe der DFG-Mittel sollen nun in Fortführung der bisherigen Arbeiten die durchaus reichhaltigen, bislang aber wenig genutzten Aktenbestände in deutschen und französischen Archiven ausgewertet werden.