Die kürzlich erschienene 16. Shell-Studie „Jugend 2010“ bescheinigt der heutigen Jugend einen pragmatischen Optimismus und persönliche Zufriedenheit. Die Wurzeln der Zuversicht sehen die Autoren zuallererst in einem Netzwerk guter Beziehungen in der Familie und im Freundes- und Bekanntenkreis. Was dies für den Bereich der Religionspädagogik bedeutet, dazu äußert sich jetzt Prof. Dr. Andrea Schulte, Professorin für evangelische Religionspädagogik und Vizepräsidentin für Studium und Lehre an der Universität Erfurt, und ruft zu einer Stärkung der religiösen Bildung an den Schulen auf.
Die Gründung einer eigenen Familie mit dem Wunsch nach eigenen Kindern ist für viele der „Glücksfaktor“ schlechthin. Jugendliche mit sozial schwierigen Hintergründen teilen diese Zuversicht allerdings nicht. Die Kluft zwischen den Milieus verstärkt sich demnach. Die Studie sieht die Gründe dafür im Bildungssystem Deutschlands. Eine bildungsferne Herkunft führe noch immer dazu, sich auch selbst keine hinreichenden Bildungsvoraussetzungen für eine sichere Perspektive aneignen zu können. So blicken Jugendliche, die sich sehr unsicher sind, ihren Schulabschluss zu erreichen, deutlich seltener optimistisch in die Zukunft als diejenigen, die sich ihres Abschlusses sicher sind. „Die Studie mahnt drastisch an, das drängende Thema der Bildungsgerechtigkeit zu bearbeiten. Mittlerweile haben sich auch die Kirchen in Verlautbarungen damit auseinandergesetzt und zur strukturellen Weiterentwicklung des Bildungswesens aufgerufen“, sagt Prof. Dr. Andrea Schulte. „Darüber hinaus wirft die Studie aber auch ein neues Licht auf die alte Gretchen-Frage: ‚Wie hast du’s mit der Religion?‘ - wie also halten es die Jugendlichen mit Religion und Religiosität.“
Die Religiosität der Jugendlichen wurde über Fragen nach der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, nach dem im Leben Erstrebenswertem, nach persönlichen religiösen Überzeugungen und der Kirche erhoben. Persönliche Vorstellungen über Gott sind demnach ebenso zurückgegangen wie die radikale Gottesleugnung. Unpersönliche Religiosität und religiöse Unsicherheit sind dagegen gestiegen. Dem Phänomen der jugendlichen Religiosität ist dabei schwer gerecht zu werden. Es gibt erhebliche Differenzen zwischen religiös-kulturellen Subkulturen. Die Studie unterscheidet drei Gruppen von Jugendlichen: Die kleinste Gruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist sehr stark religiös orientiert. Diese Jugendlichen gehören ganz überwiegend dem Islam oder anderen nicht-christlichen Religionen an. Für sie ist der Gottesglaube sehr wichtig. Der Anteil derer, die Gott als persönliches Gegenüber sehen, ist mit 57 Prozent sehr hoch. Für eine zweite, relativ große Gruppe spielt Religion im Leben keine Rolle. Sie besteht aus konfessionslosen Jugendlichen, zu denen 75 Prozent junge Ostdeutsche und nur 12 Prozent Westdeutsche gehören. Religiosität im Osten Deutschlands bleibt somit weiterhin randständig. Aber auch für formal konfessionell gebundene Jugendliche spielt Religion oft keine Rolle. 46 Prozent der Katholiken sind laut der Studien religiös unsicher oder glauben weder an Gott noch an ein göttliches Prinzip. Jugendliche evangelischer Konfession sind dagegen zu 51 Prozent nicht religiös. „Am niedrigsten war und ist die Bedeutung der traditionellen Religiosität bei evangelischen Jugendlichen. Die katholischen Jugendlichen haben sich in den vergangenen acht Jahren Schritt für Schritt angenähert“, resümiert die Studie. Für eine dritte Gruppe von Jugendlichen spielt der Glaube an Gott noch eine Rolle. Allerdings setzt sie sich eher mit abstrakten Glaubensbegriffen auseinander und bevorzugt ein unpersönliches Gottesbild. Insgesamt gehen Religiosität und ihre Bedeutung für die Jugendlichen weiter zurück. Es zeigt sich ein Trend: weg von der persönlichen Gottesvorstellung, hin zu religiöser Unsicherheit.
„Für die Wissenschaft ist dieses Ergebnis kein neuer und überraschender Befund“, sagt Prof. Schulte. Daraus allerdings könnten sehr unterschiedliche Schlüsse für die schulische Erziehung und Bildung gezogen werden. Schultes Plädoyer: „Religiöse Bildung ist an den Schulen weiterhin zu stärken. Hier leisten das Fach Religionslehre und mit ihm die Religionslehrkräfte trotz vielerorts widriger Rahmenbedingungen eine enorm gute Bildungsarbeit. Jugendliche in Fragen eigener Religiosität zu stärken und sie zur Auseinandersetzung mit den traditionellen Religionen ihrer Lebensumwelt anzuregen, ist ein gangbarer Weg aus religiöser Unsicherheit und Orientierungslosigkeit heraus“.
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