„Wunder - ein Thema für die Dichtung? Reflexionen über Jesu Totenerweckungen“ ist der Titel der letzten Ringvorlesung im Wintersemester überschrieben. Die Professorin Dr. Irmgard Scheitler von der Universität Würzburg wird ihn am Dienstag, dem 5. Februar 2008 um 18.00 Uhr im Rathausfestsaal halten.
Der Vortrag bezieht sich auf die Verarbeitung des Phänomens „Wunder“ in der deutschen Literatur. Die Vorlesung befasst sich insbesondere mit der Frage: Wie gehen künstlerische Texte in verschiedenen Epochen mit denjenigen Wundern Jesu um, die am schwersten gegen die Regeln der Vernunft zu verstoßen scheinen: den Totenerweckungen? „Beispiele aus dem 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart bieten verschiedene Antworten auf die herausfordernde Thematik“, so Irmgard Scheitler. Zu Wort kommen der Kirchenlieddichter Johann Heermann, der Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing, der Revolutionär Georg Büchner, die Katholikin Annette von Droste-Hülshoff, der Symbolist Rainer Maria Rilke und Gertrud Fussenegger, eine noch lebende Dichterin. Die überwiegende Mehrzahl der Texte zeige wenig Interesse an einer Erklärung des wunderbaren Vorgangs der Totenerweckung selbst. Schon die Barockzeit verstehe die Erweckung im übertragenen Sinn und gewinnt der Wundererzählung eine Bedeutung für die existentielle Situation des Sprechers bzw. Lesers ab. „Der Wunderbegriff selbst verändert sich in Laufe der Jahrhunderte in höchst bezeichnender Weise: In dem Maße, in dem ein Eingriff in den Gang der Natur abgelehnt wird, stellen sich die Phänomene der Welt als ‚Wunder’ dar“, stellt die Literaturwissenschaftlerin fest. „Auch sie können, wie die Wunder Jesu, als Garanten für Gottes Gegenwart gewertet werden“.
Bei den literarischen Texten, die vorgestellt werden, handelt es sich überwiegend, aber nicht ausschließlich, um Gedichte. Sie spiegeln nicht nur die individuelle Haltung ihres Autors, sondern auch Epochenprobleme. „Eine von der Germanistik gern behauptete, zielgerichtete Entwicklung hin auf Säkularisierung und Profanierung lässt sich dabei nicht feststellen“, so Irmgard Scheitler. „Heute wie vor Jahrhunderten werden die neutestamentlichen Erzählungen von Jesu ‚Zeichen’ poetisch aufgegriffen und bedeuten Anstoß im doppelten Sinn“. Die Frage nach der Vereinbarkeit mit den Naturgesetzen sei sekundär. Im Vordergrund stehe die persönliche Betroffenheit angesichts der Möglichkeit einer „Erweckung vom Tod“. „Um sie auszudrücken, greifen Dichter auf die biblischen Wundererzählungen zurück. Dass sie dabei so wenig Berührungsangst haben, mag mit dem Charakter von Dichtung an sich zu tun haben: Als Kunst liegt ihr der Bereich des Staunens und Ver-Wunderns nahe“.
Irmgard Scheitler studierte Katholische Theologie/Germanistik für Lehramt an Gymnasien an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo sie auch 1970 zum Dr. phil. promovierte. Von 1979 bis 1984 war sie Assistentin an der Katholischen Universität Eichstätt im Fach Neuere Deutsche Literaturwissenschaft. Ihre Habilitation erfolgte 1995 an der Technischen Universität Dresden im Fach "Neuere deutsche Literatur". 1996 erhielt sie die Lehrbefugnis für dieses Fach an der Universität Würzburg, seit 2002 ist sie außerplanmäßige Professorin in Würzburg. Ihre Spezialgebiete sind Frühe Neuzeit, Gegenwartsliteratur, Hymnologie, Beziehung Musik und Literatur.
Die gemeinsame Ringvorlesung von Universität und Fachhochschule Erfurt im Wintersemester 2007/2008 „Wunder - Provokation der Vernunft?“ ging - anlässlich des 800jährigen Jubiläums der Hl. Elisabeth - dem Phänomen von Wundern nach. Dabei ging es neben der Beschäftigung mit Wundern in den verschiedenen kulturellen Kreisen und Religionen auch um Wunder der Natur, Wunder der Technik, um das Wunder der friedlichen Revolution von 1989. Die mit Unterstützung der Sparkassenfinanzgruppe, der Stadtverwaltung Erfurt, dem HELIOS-Klinikum und der Universitätsgesellschaft Erfurt e.V. veranstaltete und von der Thüringer Allgemeine präsentierte populäre Reihe bot in insgesamt 14 Veranstaltungen Vorträge von Professoren aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen.