© Forschungsbibliothek Gotha, Chart. B 2559.
Die Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt hat ein antiquarisch sehr bedeutendes Freundschaftsalbum des ehemaligen Lehrers von Schnepfenthal, Daniel Bentzien, erworben. Mit ca. 125 handschriftlichen Einträgen aus den Jahren 1809 bis 1822, davon 54 allein von Lehrern und Schülern aus Schnepfenthal, bietet es einen tiefen Einblick in die Frühgeschichte des berühmten Gymnasiums nahe Gotha.
Der Philanthrop Daniel Bentzien, über dessen Biografie bis jetzt nur wenig bekannt ist, war von 1806 bis 1815 als Schüler und Lehrer in Schnepfenthal tätig. Die 1784 mit Unterstützung des Herzogs Ernst II. von Sachen-Gotha-Altenburg durch den Pfarrer und Pädagogen Christian Gotthilf Salzmann (1744–1811) unter dem Namen „Philanthropin Schnepfenthal“ begründete Schule zielte im Sinne der Aufklärung auf eine Erziehung zur Natürlichkeit, Vernunft und Menschenfreundlichkeit (Philanthropismus) ab. Dazu gehörten eine charakterbildende, religiös-moralische Unterrichtung der Schüler, die zum selbstständigen Denken anregen sollte, das Erlernen neuerer Sprachen wie Französisch, Englisch und Italienisch sowie der Unterricht in Turnen. Neben Salzmann war es vor allem Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759–1839), der zur prägenden Gestalt der Reformpädagogik des frühen 19. Jahrhunderts werden sollte. Sowohl aus der Salzmann- als auch aus der GutsMuths-Familie finden sich zahlreiche Einträge im Stammbuch. Zum Tod von Salzmann hat Bentzien selbst den Eintrag „Zum Andenken an meinen guten Pflegevater“ verfasst, zu dem er eine Originalunterschrift des Pädagogen einklebte.
Nach seiner Zeit in Schnepfenthal wirkte Bentzien für kurze Zeit als Privaterzieher der Kinder des Freiherrn von Sobeck in Kruckow in Pommern. 1816/17 hielt er sich für längere Zeit in Paris auf. Dort lernte er verschiedene Repräsentanten der französischen Politik und des Bildungssystems kennen, von denen sich ebenfalls zahlreiche Einträge im Stammbuch finden. Wohl um 1820 siedelte er nach Bordeaux um, wo er bis zu seinem unbekannten Lebensende als Weinhändler wirkte. Auch von dort aus setzte er sich mit der Veröffentlichung von zahlreichen Artikeln für die philanthropischen Ziele eines menschenwürdigen Lebens aller Stände und Klassen ein.
Die Stammbucheinträge atmen den Geist der Aufklärung und Reformpädagogik ihrer Zeit. Im Vergleich zu Stammbüchern aus dem 17. Jahrhundert fehlen Embleme und biblische Zitate fast vollständig. Zeichnungen sind selten. Die Einträge sind kurz und bieten bekannte Sprichwörter oder Sinnsprüche. Ein schöner Scherenschnitt mit dem Gesichtsprofil eines Mannes wird von dem Eintrag „Aufmerksamkeit und Achtung“ begleitet. Insgesamt bietet das Stammbuch durch seine persönlichen Einträge einen beeindruckenden Einblick in die sich ändernden Moden und Lebensweisen der Neuzeit.
Das Freundschaftsalbum des Bentzien ergänzt die bedeutende, knapp 100 Bände umfassende Sammlung an Stammbüchern der Forschungsbibliothek Gotha, die einen wesentlichen Kern der herausragenden bildungsgeschichtlichen Quellen zur Neuzeit bildet. Die Bibliothek fördert seit einigen Jahren durch Ausstellungen, Tagungen, Digitalisierungen und Erschließungsprojekte die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser außergewöhnlichen Sammlung.
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Dr. Sascha Salatowsky
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