Von Eltern- und erst recht von Schülerseite wird häufig darüber geklagt, dass in der Schule zu viele Tests geschrieben werden. „Wann soll das alles eigentlich gelernt werden?“, fragen die besorgten Eltern (und auch viele Pädagogen) und sprechen von „Testeritis“. Sie gehen davon aus, dass Tests der Leistungsfeststellung und dem Feedback dienen, jedoch keinen Nutzen für das Lernen selbst haben. Kognitionspsychologen sehen das anders.
Seit einigen Jahren erforschen sie den sogenannten „Testungseffekt“. Eine Vielzahl von Experimenten zeigt deutlich, dass der Abruf von textbezogenem Wissen – etwa im Rahmen eines schriftlichen Tests – langfristig mit deutlich besseren Lernresultaten einhergeht als das wiederholte Lesen des Textes. Ein Problem vieler dieser Experimente ist jedoch, dass das wiederholte Lesen möglicherweise eine nur wenig effektive Lernstrategie ist, der zudem im Alltag keine allzu große Bedeutung zukommt. Für Kritiker der Testeffektforschung gilt es keinesfalls als erwiesen, dass Testen eine effektivere Lernstrategie ist als beispielsweise das Herausschreiben wichtiger Textinformationen.
Kognitionspsychologen der Universität Erfurt haben vor diesem Hintergrund Experimente durchgeführt, die das testbasierte Lernen mit dem „Notizenmachen“ vergleichen. Die Ergebnisse haben sie jetzt in der von der American Psychological Association herausgegebenen Fachzeitschrift Journal of Experimental Psychology: Applied veröffentlicht. In einem Experiment, an dem 273 Studierende teilnahmen, lasen zunächst alle Versuchspersonen einen kurzen Text über das Erscheinungsbild und die Lebensgewohnheiten des Honigdachses. Danach wurden ein Drittel der Probanden gebeten, den Text zwei weitere Male zu lesen (einfache Wiederholung). Eine zweite Gruppe sollte wichtige Informationen aus dem vorliegenden Text in eigenen Worten notieren, sich also Notizen machen. Die Teilnehmer der dritten Gruppe sollen die Inhalte, an die sie sich erinnern konnten, auf einem Blatt Papier niederschrieben, ohne dabei im Text nachschlagen zu können. Abschließend fand ein finaler Lerntest statt, in dem die Versuchspersonen den Textinhalt so vollständig wiedergeben sollten wie möglich. Diese Lernkontrolle fand entweder nach fünf Minuten, nach einer Woche oder nach zwei Wochen statt.
Die Ergebnisse zeigen, dass das kurzfristige Behalten der Textinhalte am meisten vom Notizenmachen profitierte, während sich nach zwei Wochen ein deutlicher Lernvorteil beim aktiven Abruf, also dem Testen, ergab. Erklärt werden kann dies zum einen durch die Annahme, dass Testen den Abruf der Information „trainiert“, zum anderen dadurch, dass in der Testbedingung zwar nur wenig Information – dafür jedoch tiefer (und folglich längerfristiger) – behalten wird als beim Notizenmachen. In diesem Sinne bleibt beim Lernen weniger Inhalte langfristig unter Umständen mehr übrig, als wenn viele Inhalte (oberflächlich) gelernt werden.
Aus Sicht der Autoren sind vor allem zwei Punkte hervorzuheben: Erstens, zu testen ist langfristig effektiver als Notizen zu machen (die Strategie, die die Studierenden im Allgemeinen für die effektivste halten). Zweitens hängt die Frage, welche Lernstrategie ausgewählt werden sollte, auch davon ab, wie lange das Wissen verfügbar bleiben soll bzw. wann der kritische Test – etwa eine Klausur – stattfindet.
Prof. Dr. Ralf Rummer, der Erstautor der Studie und Kognitionspsychologe an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Uni Erfurt, erläutert: „Testen erweist sich, zumindest wenn es um nachhaltiges Lernen geht, als effektiver als andere – ebenfalls effektive – Lernstrategien. Aus unserer Sicht sollte man sich diesen Effekt sowohl in der universitären und schulischen Lehre – etwa durch den Einbau von Tests in Lehrveranstaltungen – als auch beim heimischen Lernen zunutze machen. Letzteres könnte etwa durch die Beantwortung selbstgestellter Fragen oder das eigenständige Zusammenfassen zentraler Lerninhalte – und zwar ohne die Verwendung der Lernmaterialien – erfolgen. Bislang testen sich die meisten Lernenden leider nur dann, wenn sie Vokabeln lernen. Und dann auch nur, um Feedback über ihren Wissensstand zu erlangen, und nicht im Bewusstsein, ihr Wissen durch Testung zu konsolidieren.“
Referenz: Rummer, R., Schweppe, J., Gerst, K., & Wagner, S. (2017). Is testing a more effective learning strategy than note-taking? Journal of Experimental Psychology: Applied, 23(3), 293-300.
Weitere Informationen / Kontakt:
Prof. Dr. Ralf Rummer
ralf.rummer@uni-erfurt.de