Die zur Universität Erfurt gehörende Forschungsbibliothek Gotha hat in Vorbereitung der Ausstellung „Mit Lust und Liebe singen – Die Reformation und ihre Lieder“ im Stammbuch des orthodoxen Lutheraners Johann Christoph Olearius (1668–1747) eine Widmung des Pietisten Philipp Jacob Spener (1635–1705) entdeckt. Sie beleuchtet eine bisher unbekannte Facette der Olearius-Dynastie und bietet zugleich einen interessanten Einblick in das protestantische Gelehrtennetzwerk am Ende des 17. Jahrhunderts, das von zunehmender religiöser Divergenz und sich ausbreitenden wissenschaftlichen Interessen geprägt war.
Stammbücher waren in der Frühen Neuzeit sehr beliebt. Ihr Besitzer ließ darin Freunde und Bekannte auf seinen verschiedenen Lebensstationen Sprüche und gute Wünsche für das weitere Leben eintragen. Stammbücher repräsentierten den eigenen Lebensweg im Rahmen der akademischen Reisen und dienten der persönlichen Erinnerung. Das Stammbuch des Olearius bildet hier keine Ausnahme: Viele Freunde, Gelehrte, aber auch Verwandte der weitverzweigten Familie haben sich mit Sentenzen, Sprüchen oder Zitaten verewigt, berichtet Dr. Sascha Salatowsky, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Forschungsbibliothek zum Gesangbuchsammler Olearius geforscht und die Entdeckung gemacht hat. Olearius führte das Stammbuch hauptsächlich in den Jahren 1688 bis 1696 zur Zeit seines Studiums in Jena und unmittelbar danach bei seiner Bildungsreise durch verschiedene deutsche Städte. „Es liest sich“, sagt Salatowsky, „wie ein Who is Who des mitteldeutschen Protestantismus.“ Die theologischen Lehrer des Olearius, die orthodoxen Lutheraner Friedemann Bechmann (1628-1703) und Johann Wilhelm Baier (1647–1695), sind ebenso mit Einträgen vertreten wie der Diplomat und Numismatiker Ezechiel Spanheim (1629–1710) aus Halle. Spener trug sich am 3. August 1694 in Berlin unter der Überschrift „Ewigkeit!“ mit einem Zitat des Psalms 119,52 in hebräischer Sprache („Ich gedenke deiner Gebote von Urzeiten her, Herr, und ich bin getröstet“) in das Stammbuch ein. Er wünschte Olearius, mit dessen Vater Johann Gottfried Olearius (1636–1711) er einst während des Studiums eng befreundet gewesen war, allen himmlischen Segen für das der Kirche zu weihende Studium. Die innerreligiösen Differenzen zwischen der lutherischen Orthodoxie und dem Pietismus werden hier durch freundschaftliche Bande überwunden, obgleich sich Olearius später als Arnstädter Pfarrer und Superintendent sehr kritisch mit der neuen Frömmigkeitsbewegung auseinandergesetzt hat.
Dass Olearius dies gerade im Zusammenhang mit den geistlichen Liedern der Pietisten tat, ist einer der interessanten Aspekte, den die Gesangbuchausstellung, die vom 6. Mai bis 12. August 2012 auf Schloss Friedenstein stattfindet, aufzeigen wird. Als ein leidenschaftlicher Sammler von Gesangbüchern und Mitbegründer der Hymnologie war er wie kein zweiter in der Lage, die feinen Veränderungen in der Textgestaltung der protestantischen Gesangbücher im Verlauf des 17. und frühen 18. Jahrhunderts kritisch zu hinterfragen.
Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt der zur Universität Erfurt gehörenden Forschungsbibliothek Gotha, der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha und des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreises Gotha im Rahmen der Reformationsdekade und des für 2012 ausgerufenen Jahres „Luther und die Musik“.
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Dr. Kathrin Paasch
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