Universität Erfurt

"Unser Bild vom antiken Athleten muss revidiert werden": Pressemitteilung Nr.: 99/2011 - 27.06.2011

Sie haben viele Wochen trainiert und versucht, sich in die Athleten von einst hineinzuversetzen. Jetzt wollen Studierende der Universität Erfurt zeigen, was sie gelernt haben. Am Montag, 4. Juli, treffen sie sich auf dem Campus-Sportplatz, um in drei antiken olympischen Disziplinen ihr Können unter Beweis zu stellen. Beginn ist um 10 Uhr.

Die Idee dazu entstand in der im Rahmen des Studium Fundamentale stattfindenden Lehrveranstaltung „Antike Olympische Spiele im Experiment“ unter Leitung von Prof. Dr. Kai Brodersen, Professor für Antike Kultur und Präsident der Universität Erfurt, Dr. Uwe Mosebach, Trainingswissenschaftler am Fachgebiet Sportwissenschaften, und Prof. Dr. Eberhard Loosch, Professor für Bewegungslehre, der erklärt: „Ähnlich wie in der experimentellen Archäologie wollten wir die Leistungen der antiken griechischen Athleten in der Praxis nachvollziehen“. Dafür bildeten die Teilnehmer fünf Gruppen, in denen jeweils eine spezielle Disziplin trainiert wurde. Neben Diskuswurf, Waffenlauf und Weitsprung mit Halteres gab es auch zwei Ernährungsgruppen, in denen über einen längeren Zeitraum hinweg antike Ernährungsweisen nachempfunden wurden. Die praxisnahe Auslotung antiker Lebensweisen sei ein Experiment mit Seltenheitswert, sagt Loosch, jedoch umso aufschlussreicher, da die Faktenlage hinsichtlich der Leistungen der Athleten in der Antike eher bescheiden sei. „Viele Quellen sind im Lauf der Jahrhunderte verlorengegangen, so dass nur wenige Leistungen überliefert sind. Hinzu kommt, dass man sich in der Antike wenig für Zeiten und Weiten interessierte – was zählte, war einzig und allein der Sieg“. Trotz der schlechten Quellenlage konnten jedoch einige Werte näherungsweise rekonstruiert werden, zum Beispiel die Weiten von ca. 30 bis 45,70 Metern beim antiken Diskuswurf. Auf den ersten Blick wirken diese Werte, gerade im Vergleich zu den Leistungen moderner Athleten, nicht sonderlich spektakulär, betrachtet man jedoch den antiken Diskus genauer, relativiert sich der Eindruck schnell. Anders als das heutige Sportgerät war der Diskus damals eine flache Scheibe, die bei einem Durchmesser von 17 bis 35 Zentimetern bis zu 6,5 Kilogramm wog. Das heutige Wettkampfmaß eines Diskus‘ beträgt dagegen 2 Kilogramm bei etwa 22 Zentimetern Durchmesser. Der antike Diskus erforderte also eine völlig andere Wurftechnik. Und auch beim Weitsprung mit Halteres, einer antiken Variante des Weitsprungs, reichen die Studierenden heute nicht an das antike Vorbild heran. Loosch: „Wir waren überrascht von diesen Ergebnissen, doch stimmen sie mit früheren Forschungen der Sporthochschule Köln und der Manchester Metropolitan University, die ähnliche praxisbezogene Experimente durchführten, überein. Insofern muss unser Bild von den antiken Athleten revidiert werden. Sie waren absolute Vollprofis, und in Leistung und Trainingsaufwand durchaus mit unseren heutigen Spitzensportlern zu vergleichen“. Doch dies wird am Ende nicht die einzige Erkenntnis sein, die die Studierenden aus der Lehrveranstaltung mitnehmen. Sie bekamen außerdem Einblicke in komplexe Trainings- und Bewegungstechniken, wofür beim Diskuswurf sogar mit Hochgeschwindigkeitskameras gearbeitet wurde. Und auch die Physis-Tests unter besonderen Belastungen waren sehr aufschlussreich: Gerade der Waffenlauf – ein 385-Meter-Lauf mit Beinschienen, Helm und Schild – verlangte den Athleten extreme Leistungen ab.

Mit besonderen Belastungen hatten auch die Teilnehmer der beiden Ernährungsgruppen zu kämpfen. Denn die antike Ernährungsweise, die hauptsächlich auf Getreideprodukten und Hülsenfrüchten basierte, erwies sich vor allem in der Umstellungsphase als äußerst anstrengend. Hier setzten die Studierenden modernste Messtechniken ein, um Energieumsatz und körperliche Veränderungen nachzuweisen und zu analysieren. Die Betreuung der Ernährungsgruppen übernahm Prof. Dr. Kai Brodersen, der sich als Althistoriker intensiv mit den Lebens- und Ernährungsweisen in der Antike beschäftigt. Im Rahmen der Lehrveranstaltung sprach er unter anderem über geschichtliche Zusammenhänge und die Bedingungen, unter denen sich die Athleten damals bewegten. So ist beispielsweise überliefert, dass die antiken Olympioniken ihre Wettkämpfe auf sandigen oder lehmigen Böden austrugen, was die körperlichen Anstrengungen nochmals erhöhte. „Die Zusammenarbeit zwischen den Fächern Bewegungslehre, Trainingswissenschaft und Geschichtswissenschaft war für das Gelingen der Lehrveranstaltung entscheidend“, berichtet Professor Eberhard Loosch. Darüber hinaus arbeiteten die Kursteilnehmer auch mit der Werkstatt der Fachhochschule Erfurt zusammen, um einen originalgetreuen „antiken“ Diskus anzufertigen. Ein Musikstudent begleitete den Weitsprung nach klassischem Vorbild mit Flötenmusik, was dem Finden eines besseren Rhythmus diente. Und auch die Kenntnisse eines an der Veranstaltung teilnehmenden Mathematik-Studenten der Universität erwiesen sich als hilfreich: Er errechnete die perfekte Flugbahn der antiken Disken. Loosch: „Auf diese Weise brachte jeder Teilnehmer sein spezielles Fachwissen ein und sorgte so für den Erfolg unseres Experiments“.

Das enorme Interesse der Studierenden und die spannenden Erkenntnisse, die aus der Lehrveranstaltung gewonnen werden konnten, haben die Dozenten nun ermutigt, dieses Experiment auch in den kommenden Jahren anzubieten. Dann könnten beispielsweise die Disziplinen ausgebaut werden, etwa um Langstreckenlauf oder Speerwurf. Eines ist aber heute schon sicher: der Respekt der jungen Leute vor den Olympioniken von damals.

Fotos zur Veranstaltung finden Sie auf unserer Multimediaseite.

Weitere Informationen / Kontakt:

Prof. Dr. Eberhard Loosch

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