Universität Erfurt

„Uns steht das Wasser bis zum Hals“: Ein Interview zum Sanierungsstau auf dem Campus der Uni Erfurt 11.01.2018

Eines der vorherrschenden Themen an der Universität Erfurt war auch 2017 wieder der Sanierungsstau auf dem Campus. Er stellt für die Hochschule eine enorme Herausforderung dar. „WortMelder“ sprach mit Kanzler Jan Gerken über die drängendsten Probleme…

Jan Gerken
Jan Gerken

Herr Gerken, die Universität Erfurt wirbt als kleine interessante Campus-Universität um Studierende und Wissenschaftler. Ist sie am Ende gar nicht so attraktiv wie behauptet?
Nein, das natürlich nicht. Unsere Universität ist ein wirklich attraktiver Platz zum Studieren und Arbeiten. Das liegt nicht nur an unserem Forschungs- und Lehrprofil bzw. unseren interessanten Studienangeboten, sondern auch an den Menschen, die hier lernen, forschen und arbeiten – in einer überaus lebenswerten Stadt.  Dennoch ist für uns die infrastrukturelle Situation auf dem Campus seit geraumer Zeit eine enorme Herausforderung. Unsere Gebäude sind überwiegend mehr als 60 Jahre alt und weisen zum Teil beträchtliche Mängel auf, die vom Land nicht effizient behoben werden. Die Zusammenarbeit mit der staatlichen Bauverwaltung funktioniert an vielen Stellen nicht gut, so dass der Sanierungsstau weiter angewachsen ist und fehlende bzw. gesperrte Flächen weiterhin sowohl die Attraktivität als auch Entwicklungschancen der Universität hemmen. Deutlich gestiegene Drittmitteleinnahmen einerseits und – entgegen dem allgemeinen Trend in Thüringen – steigendende Studierendenzahlen andererseits führen an der Uni Erfurt zu einem erheblichen Zusatzbedarf an Räumen und Infrastruktur. Hinzu kommt das große Thema Brandschutz, ein Problem, das nicht nur unser seit 2015 gesperrtes Audimax betrifft. Kurz: Wir stehen vor einer Herausforderung, die die Hochschule perspektivisch nur gemeinsam mit dem Land und der Stadt bewältigen kann. Oder anders: Uns steht das Wasser bis zum Hals! Während es in anderen Bundesländern, beispielsweise in Niedersachsen, Bestrebungen gibt, den Hochschulen die Bauherrenvertretungseigenschaft zu übertragen, weil man den Hochschulen diese Kompetenz zutraut, ist das in Thüringen bislang nicht der Fall. So ist die Universität Erfurt bislang lediglich berechtigt, Maßnahmen des Bauunterhaltes (die im Einzelfall 50.000 Euro nicht übersteigen dürfen) durchzuführen. Das ist für uns insofern bedauerlich, als dass wir durchaus über den notwendigen Sachverstand verfügen, unsere baulichen Probleme anzugehen. Das Land lässt uns dies jedoch nicht unter Beweis stellen, gleichzeitig wird nicht in ausreichendem Maße in den Hochschulbau investiert.

Was sind denn aktuell die drängendsten Baumaßnahmen?
Die größten „Baustellen“ haben wir bei der Hörsaalsanierung, dem Brandschutz, der Sanierung von Sanitäranlagen und beim Thema Barrierefreiheit. Als Beispiele seien hier neben dem seit 2015 aufgrund schwerer brandschutztechnischer Mängel geschlossenen Audimax, das teilweise gesperrte Lehrgebäude 3 (Am Hügel), das Mitarbeitergebäude 2, das vom Max-Weber-Kolleg genutzte Gebäude am Steinplatz 2, die Universitätsbibliothek, das Lehrgebäude 2 sowie die Villa Martin genannt.

Was hat die Uni Erfurt gegen all diese Probleme unternommen?
Wir haben alle baulichen und infrastrukturellen Erfordernisse und Probleme gegenüber dem Land deutlich kommuniziert und sind aktuell dabei, mit dem zuständigen Fachreferat im TMWWDG eine Liste der notwendigen Maßnahmen zusammenzustellen und diese zu priorisieren. Dies soll dann die Basis für die Anmeldung von Baumaßnahmen für zukünftige Landeshaushalte darstellen. Und auch in der Ziel- und Leistungsvereinbarung zwischen Hochschule und Land ist die gemeinsame Fortschreibung der baulichen Entwicklungsplanung vereinbart worden. Eine entsprechende Beauftragung des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung ist daraufhin 2017 erfolgt. Das Ergebnis steht augenblicklich noch aus, soll jedoch die Grundlage aller weiteren baulichen Aktivitäten für die nächsten Jahrzehnte bilden. Darüber hinaus haben wir beim Land einen Antrag Übertragung der Bauherrenvertretungseigenschaft gestellt – wie bereits erwähnt, wurde dieser Antrag abgelehnt. Wir haben mit der Alten Parteischule eine – wenn auch überaus provisorische – Möglichkeit gefunden, große (Lehr-)Veranstaltungen trotz aller Not stattfinden zu lassen. In diesem Zusammenhang haben wir auch Gespräche mit der EVAG über die Einsetzung eines Shuttles zwischen der Parteischule zur Universität geführt – dies ist bislang leider ebenfalls nicht realisierbar. Des Weiteren haben wir im vergangenen Jahr das Gebäude am Steinplatz mit enormem Aufwand nutzbar gemacht, sanieren aktuell ein Gebäude in der Puschkinstraße, das als Ausweichfläche für das sanierungsbedürftige Lehrgebäude 3, Am Hügel, dienen soll, und wir haben zwei provisorische Fluchttreppen am Mitarbeitergebäude 2 angebaut, um dieses Gebäude nicht auch noch sperren zu müssen.

Warum geht es denn trotz Ihrer Bemühungen und trotz der Kenntnis dieser Not nicht voran?
Darüber ließe sich trefflich spekulieren, aber es fehlt wohl schlicht an Geld und an Ressourcen zur Umsetzung der zwingend erforderlichen Maßnahmen. Ein Schicksal, dass wir im Übrigen auch mit den anderen Thüringer Hochschulen teilen.

Und warum baut/saniert die Uni dann nicht selbst?
Die Universität Erfurt ist vom Landesgesetzgeber – im Gegensatz zu den drei übrigen Universitäten in Thüringen – bisher nur legitimiert, Maßnahmen des Bauunterhaltes (die im Einzelfall 50.000 Euro nicht übersteigen dürfen) durchzuführen. Deshalb haben wir als erste Hochschule in Thüringen von der sogenannten „Erprobungsklausel“ im ThürHG Gebrauch gemacht und die projektbezogene Übertragung der Bauherreneigenschaft für große Baumaßnahmen (> 2 Mio. Euro) beantragt. Leider ist diesem Antrag nicht stattgegeben worden. Mit anderen Worten: Die Uni hat keinen Handlungsspielraum und kann die baulichen Probleme nur gemeinsam mit dem Land lösen.

Wie hoch sind die Mittel, die das Land Thüringen für die Baumaßnahmen zur Verfügung stellt?
Laut Rahmenvereinbarung IV stellt der Freistaat Thüringen von 2016 bis 2019 jährlich rund 40 Millionen Euro für Baumaßnahmen an allen zehn Thüringer Hochschulen neu zur Verfügung. Dagegen steht allein an der Universität Erfurt ein Sanierungsstau von inzwischen gut 65 Millionen Euro. Die Kosten für den Erhalt unserer Gebäude betragen jährlich rund 1,2 Millionen Euro, das Land stellt jedoch nur einen Bruchteil dessen zur Verfügung, so dass der Sanierungsstau weiter anzuwachsen droht.

Wie lange wird denn das Audimax noch gesperrt sein? Braucht es das überhaupt noch angesichts der zwei neuen Hörsäle im KIZ?
Es gibt derzeit keine Auskunft seitens des Landes darüber, ob und wenn ja, wann das Audimax wieder zur Verfügung stehen kann. Die beiden Hörsäle im neuen KIZ (400 und 200 Personen) können den großen Saal im Audimax-Gebäude (700 Personen) nicht ersetzen. Das war auch nie so geplant, im Gegenteil: Die Hörsäle im KIZ sollten dem zusätzlichen Raumbedarf Rechnung tragen. An dieser Stelle sei auch angemerkt, dass das, was wir hier als Audimax bezeichnen, eigentlich immer ein Festsaal war und den Anforderungen eines modernen Hörsaals nicht genügt – schon aufgrund seiner nicht vorhandenen nach oben ansteigenden Bestuhlung.

Wie hoch sind die Kosten für die Nutzung der Alten Parteischule?
Die Uni Erfurt hat seit 2015 jährlich einen fünfstelligen Betrag für die stundenweise Nutzung der Räume in der Alten Parteischule bereitgestellt, hinzukommen Kosten für die Ausstattung mit entsprechender Medientechnik. Ein Ende der Anmietung ist für uns derzeit nicht abzusehen. Ebenso wenig eine Alternative.

Gibt es weitere Anmietungen, aufgrund mangelnder Kapazitäten auf dem Campus?
Wir mieten derzeit in Gotha an, sowie auf dem Gelände des HELIOS-Klinikums. Weitere Anmietungen aufgrund des zusätzlichen Bedarfs an Drittmittelarbeitsplätzen bzw. Arbeitsplätzen für unsere (Nachwuchs-)Wissenschaftler sind zu erwarten.

Wäre denn die Reduzierung der Studienanfängerzahlen oder der Drittmittelbeschäftigten eine Lösung?
Davon könnten die Gebäude ja auch nicht instand gesetzt werden. Zudem hat sich die Universität in der Ziel- und Leistungsvereinbarung mit dem Land zu bestimmten quantitativen Parametern verpflichten müssen, darunter auch die Zahl unserer Erstsemester sowie die Höhe unserer Drittmittel. Wir haben große Anstrengungen unternommen und diese beiden Ziele erreichen können. Ein „Zurück“ würde für uns massive finanzielle Kürzungen bedeuten, die wiederum die Qualität von Forschung und Lehre betreffen würden. Das können und wollen wir uns nicht leisten. Andererseits ist die Mittelzuweisung aufgrund rein quantitativer Parameter sicherlich auch grundsätzlich einmal zu hinterfragen.

Welche Folgen für den Lehrbetrieb hat die aktuelle Situation auf dem Campus?
Nehmen wir das Beispiel Lehrgebäude 2: Seit mehr als einem Jahr finden hier mit der Herrichtung des Sanitärtraktes und dem Einbau eines Aufzuges Baumaßnahmen statt – darunter Abbrucharbeiten und diese auch während der Vorlesungszeit. Unsere diesbezügliche Intervention beim Land wegen der enormen Beeinträchtigung des Lehrbetriebs war leider nicht erfolgreich. Das TLBV hat dafür Kostengründe aufgeführt. Lärm und Schmutz ziehen sich seit Monaten hin, mehrere dringend benötigte Räume können nicht genutzt werden. Mit anderen Worten: Kurzfristig haben wir Raumprobleme, steigende Kosten, Lärm, Schmutz und lange Wege. Langfristig droht uns ein enormer Attraktivitätsverlust, der wiederum weniger Studierende, den Verlust guter Forscherinnen und Forscher, aber auch weniger Drittmittel nach sich zieht. Am Ende ist so etwas durchaus existenzbedrohend. Wir müssen also alles dafür tun, um hier zu schnellen aber nachhaltigen Lösungen zu finden. Das geht meines Erachtens aber nur gemeinsam mit dem Land.

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