"Es kam zusammen, was ohnehin zusammengehört" 01.01.2018 - Katholisch-Theologische Fakultät
Herr Professor Bauer, ist die Integration der katholischen Theologen in die Reformuniversität Erfurt aus Ihrer Sicht gelungen?
Durch die Eingliederung des ehemaligen Philosophisch-Theologischen Studiums in die wiedergegründete Universität Erfurt kam zusammen, was historisch gesehen ohnehin zusammengehört. Bereits vor Gründung der Universität im Jahr 1392 waren es Erfurts Stifts- und Ordensschulen, die der heutigen Thüringer Landeshauptstadt einen guten Ruf als Hochschulstandort bescherten. Auf den Lehrstühlen der Theologischen Fakultät der später gegründeten Universität wirkten bis zu ihrer Schließung 1816 neben Weltpriestern immer auch Angehörige der Augustiner, Dominikaner und Franziskaner. Hinzu kamen Benediktiner auf Lehrstühlen der Philosophischen Fakultät. Unter den schwierigen Bedingungen der SED-Diktatur entstand 1952 das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt und knüpfte an die Tradition der alten Alma mater Erfordensis an.
Die Verdienste, die sich das Philosophisch-Theologische Studium mit ihren Lehrenden und Studierenden damals um die Bewahrung einer Erfurter Theologie allen Widrigkeiten zum Trotz erwarb, nötigen uns auch heute noch großen Respekt ab. Mit der Neugründung der Erfurter Universität im Jahr 1994 eröffneten sich für die Katholische Theologie in Erfurt neue Horizonte. Der Vollzug der Eingliederung als Fakultät in die Universität im Jahr 2003 brachte neue Möglichkeiten der Vernetzung und Zusammenarbeit mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen, die an der Universität Erfurt in Forschung und Lehre vertreten sind. Dass es den Angehörigen der Fakultät gelungen ist, Kooperationen mit anderen Fächern aufzubauen und sich in das akademische Leben der Universität zu integrieren, erlaubt durchaus das Urteil, dass die Integration erfolgreich war.
Welchen Beitrag leistet die Fakultät dabei heute konkret für den gesellschaftlichen Diskurs, aber auch für den universitären Wissenschaftsbetrieb?
Wir leben in einer durch das Christentum in langer Geschichte geprägten Kultur und Gesellschaft. Daher ist es Aufgabe der Theologie, die religiöse Praxis sowie die Lebensvollzüge und Überzeugungen der Kirche in Geschichte und Gegenwart zu erforschen, sie kritisch zu prüfen und zu hinterfragen. Dazu gehört, die kirchliche Tradition mit den Mitteln der Vernunft zu erschließen und darüber in einen kritischen wissenschaftlichen Austausch mit anderen Fächern zutreten. Genauso sehen wir es als unsere Aufgabe und Pflicht an, uns an aktuellen gesamtgesellschaftlichen Diskursen zu beteiligen. Das Theologie-Studium dient heute nicht mehr exklusiv dazu, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die pastoralen Aufgaben in der Kirche auszubilden. Auch heute streben zwar noch viele unserer Absolventinnen und Absolventen eine Laufbahn in der Pastoral an – gleichwohl haben sich die Kirche und kirchliche Dienstleister als Arbeitgeber in den vergangenen Jahren stark verändert. Zunehmend sucht man hier Personen, die nicht nur über theologische Vorkenntnisse verfügen, sondern auch in der Lage sind, Dinge neu und anders zu sehen und zu denken. Diesen veränderten Anforderungen möchte die Katholisch-Theologische Fakultät in Erfurt gerecht werden, indem sie neben dem theologischen Vollstudium im Magister Theologiae einen Zwei-Fach-Bachelor mit vielfältigen spannenden Fächerkombinationen anbietet, aber auch innovative Masterprogramme, wie zum Beispiel den „Master Theologie und Wirtschaft“.
An der Universität ist die Arbeit der Fakultät derweil weit vernetzt: Als Theologinnen und Theologen arbeiten wir mit Religionswissenschaftlern der Philosophischen Fakultät zusammen. Durch das Research Centre „Dynamiken ritueller Praktiken im Judentum“ sind wir eng mit dem Max-Weber-Kolleg verbunden. Das Theologische Forschungskolleg sowie Kooperationen mit dem Martin-Luther-Institut oder auch dem Katholischen Forum des Bistums Erfurt ergänzen unser Netzwerk. Die Fakultät versteht sich damit als eine Schnittstelle, an der viele diskursive Fäden zusammenlaufen.
Mit anderen Worten: Die Katholisch-Theologische Fakultät ist aus der Universität Erfurt nicht mehr wegzudenken?
Insofern „Religion“ und „Bildung“ die beiden Schwerpunkte der Universität Erfurt in Forschung und Lehre markieren, hat die katholische Theologie, wie auch die Evangelische Theologie, einen guten und berechtigten Platz an dieser akademischen Einrichtung.
Dennoch gibt es Stimmen, die vehement die Einrichtung einer neuen Ausbildungsstätte für katholische Theologie in Berlin fordern – etwa als Institut an der Humboldt-Universität. Was würde diese Konkurrenz für Erfurt bedeuten?
Die theologische Ausbildungslandschaft in Mitteldeutschland beschränkt sich bereits jetzt nicht auf die Fakultät in Erfurt. Institute für Katholische Theologie gibt es derzeit schon an den Universitäten in Dresden sowie Halle-Wittenberg. Die Neugründung eines weiteren Instituts an der Humboldt-Universität zu Berlin macht die Katholisch-Theologische Fakultät an der Universität Erfurt nicht überflüssig. Diese Institute bieten gegenüber einer Fakultät deutlich reduzierte Möglichkeiten in Lehre und Forschung. Allein die Katholisch-Theologische Fakultät in Erfurt bietet im Raum der östlichen Bundesländer das gesamte Spektrum der theologischen Fächer in Lehre und Forschung und allein in Erfurt ist der Abschluss im Magister Theologiae sowie der akademische Grad eines Doktors der Theologie möglich. An den Standorten in Dresden und Halle-Wittenberg, aber auch an einem möglichen Institut an der Humboldt-Universität, ist eine Ausbildung von Priestern und anderen hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weder jetzt noch künftig möglich. In diesem Kontext muss außerdem betont werden, dass der Religionsunterricht im Freistaat Thüringen ein Pflichtfach gemäß § 46 des Thüringer Schulgesetzes ist. Die Katholisch-Theologische Fakultät sichert damit, teilweise in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität Jena, den Fortbestand des dafür benötigten Berufsstandes. In Berlin ist der Religionsunterricht an Schulen nicht verpflichtend, sondern freiwillig.
Die bislang einzige Katholisch-Theologische Fakultät im Osten Deutschlands steht also vor zusätzlichen Herausforderung: Nicht nur, dass sie in der „doppelten Diaspora“ um Studierende kämpft und ihre Stellung im wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Diskurs behaupten muss – jetzt muss sie auch um ihren Platz in Thüringen bangen. Welche Pläne gibt es, diesen zu behaupten?
Die Relevanz einer Universität oder Fakultät allein über ihre Studierendenzahlen zu beurteilen, wäre wohl etwas kurzsichtig. Die Erfurter Fakultät zählt seit jeher zu den kleineren Fakultäten in Deutschland. Gerade deswegen wird sie aber geprägt von einem überdurchschnittlichen Gefühl des Zusammenhaltes. Aufgrund der besonderen Situation von Kirche und Theologie in einer weitgehend „entkirchlichten“ Umwelt in den östlichen Bundesländern ist die „Erfurter Theologie“ in den 65 Jahren seit der Gründung des Philosophisch-Theologischen Studiums zu einem eigenen Markennamen geworden. Wir sind in unserem Raum in mancher Hinsicht der Zeit voraus. Herausforderungen, die sich uns bereits stellen, werden früher oder später auch jene Fakultätsstandorte treffen, die sich in Regionen mit einer größeren katholischen Tradition finden. In dieser Entwicklung ist Erfurt ein Impulsgeber und Zukunftslabor der theologischen Ausbildung. Aus der Notwendigkeit heraus, hinterfragen wir seit jeher kritischer als manch anderer Standort die Struktur und das Ziel des Theologie-Studiums. Über die Perspektiven des Theologie-Studiums stehen wir seit kurzem auch in einer Netzwerkkooperation mit den theologischen Fakultäten in Münster und München. Durch einen wechselseitigen Erfahrungsaustausch wollen wir voneinander lernen und gemeinsam prüfen, wo wir Strukturen und Inhalte des Theologie-Studiums modifizieren oder auch radikal ändern müssen, um in Zukunft ein attraktiver Ausbildungsanbieter zu bleiben. Dabei hat die Erfurter Theologie einen entscheidenden Vorteil: Sie kennt es nicht anders.
Wo sehen Sie persönlich die Fakultät in fünf bis zehn Jahren, was sind ihre wichtigsten Ziele?
Die Theologie muss als Wissenschaft sowie als Ausbildungszweig für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer generell attraktiv bleiben. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund, dass die Kirche einer der größten Arbeitgeber in Deutschland ist und sie als Dienstleistungserbringer (Krankenhäuser, Beratungsangebote usw.) relevant ist – sowohl im Arbeitsalltag vieler Menschen als auch in der Gesellschaft generell. Damit das gelingen kann, muss sie sich einbringen in aktuelle Debatten. Sie muss sich einmischen, mitreden, Fragen der Zeit beantworten – selbst dann, wenn vermeintlich niemand eine Frage gestellt hat. Sie muss dabei aber auch kritikfähig bleiben und die Zeichen der Zeit erkennen, die uns dazu ermutigen, Inhalte und Lehre an veränderte Bedürfnisse anzupassen. An der Fakultät ergreifen wir derzeit Maßnahmen, die unsere Bemühungen in dieser Richtung fördern: Unser Fakultätsprojekt „Wissenstransfer und Wissenschaftskommunikation“ setzt sich zum Beispiel mit der Frage auseinander, wie Wissenschaft in mundgerechte Portionen aufgebrochen werden kann, und ermutigt uns, uns als Forscherinnen und Forscher nicht hinter verriegelten Türen im Elfenbeinturm zu verschanzen. Offener Dialog und Austausch (auch über die Grenzen von Kirche und Theologie hinaus) sind uns besonders wichtig. Denn als einzige Katholisch-Theologische Fakultät in den neuen Bundesländern, hat die Erfurter Theologie schon immer Verbindungen hergestellt – diskursiv wie regional. In diesen Tagen rückt Thüringen (wenn auch noch mit technischen Startschwierigkeiten), das „grüne Herz Deutschlands“, nicht nur als zentraler Verkehrsknotenpunkt in den Mittelpunkt. Auch die Erfurter Theologie verschiebt sich damit in eine zentrale Position im theologischen Diskurs – in Deutschland und darüber hinaus.