Mit der Veröffentlichung seines Buches „Religion in Republican Rome. Rationalization and Ritual Change“ hat Prof. Dr. Jörg Rüpke vom Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt seine Forschungen zum Thema „Achsenzeit“ beendet. Das 336 Seiten starke Buch ist jetzt in der Reihe „A volume in the Empire and After“ im Verlag University of Pennsylvania Press erschienen.
Als Achsenzeit wird seit Karl Jaspers (1949) die Zeit bezeichnet, in der die mythische Kultur durch eine theoretische ersetzt oder ergänzt wurde, und zwar unabhängig voneinander in mindestens vier Weltregionen, nämlich in Israel, Griechenland, China und Indien. Dieses Zeitalter, das etwa um die Mitte des Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung angesetzt wird, ist durch die Entstehung eines Transzendenzbewusstseins charakterisiert, das sich in spirituellen und ethischen Fragestellungen zeigte, aber auch für Politik und Wissenschaft äußerst folgenreich war. Zwar gab es bereits einzelne Elemente einer theoretischen Kultur vor der Achsenzeit, wie beispielsweise die Berechnung von Kalendern, aber erst in der Achsenzeit erhielt die theoretische Kultur eine zentrale Bedeutung. Man könnte sagen, dass die Achsenzeit den Beginn jenes Zeitalters darstellt, dessen Verheißungen bis heute noch nicht vollständig eingelöst sind. Für die heutige Zeit, die durch große soziale und kulturelle Wandlungsprozesse geprägt ist, ist die Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln der Achsenzeit und die Nachzeichnung unterschiedlicher Wege zu „multiplen Modernen“ von besonderer Bedeutung, gerade auch, um Thesen wie die des „Clash of Civilizations“ von Huntington zu verstehen und zu kritisieren.
In seiner diesbezüglichen Forschung, die Prof. Rüpke 2002 als Fellow am Max-Weber-Kolleg startete, ging der Religionswissenschaftler nun der Frage nach, ob auch die römische Kultur eine achsenzeitliche ist, die es erstmals erlaubte, alternative Vorstellungen von menschlichem Sein und Gesellschaft zu denken. Hintergrund ist, dass in der Diskussion über die „Achsenzeit“ eine Diskussion der römischen Entwicklung bislang völlig fehlte. Jedoch ist es gerade die römische Kultur, die die griechische für die europäische Geschichte bis in die Renaissance hinein überliefert. Prof. Dr. Jörg Rüpke über die Ergebnisse seiner Forschung: „Unter Mitgliedern der römischen Elite gab es im 2. und 1. Jh. v. Chr. ein lebhaftes Interesse an griechischer Rationalität in Form von Philosophie, Logik und Rhetorik, Sprach- und Geschichtsforschung − nicht nur an griechischer Kunst und Lebensart. Dieses Interesse gründet sich auf den Problemen, mit denen sich eine politische Elite außenpolitisch in einer gewaltigen Expansionsphase eines (zunehmend) Weltreiches und innenpolitisch in schnellen sozialem Wandel und verschärfter Konkurrenz konfrontiert sah: Universale Rationalitätsprinzipien waren in manchen Bereichen von hohem Nutzen. Entsprechend blieb die Rezeption aber auch ‚insulär‘, vollzog sich in bestimmten Bereichen stärker (Systematisierung bedrohter religiöser Traditionen, Rechtswesen, Architektur, Geografie) als in anderen (Prinzipien politischen Prestiges und Auseinandersetzung, Konstruktion der eigenen Geschichte, religiöse Praxis). Expertenwissen (oft bei Immigranten) wurde geschätzt und ‚eingekauft‘. Viele dieser Prozesse brachen aber mit der Augusteischen Revolution und Restauration ab. Insgesamt fehlen also einige Merkmale, um die Gesellschaft insgesamt als achsenzeitlich zu bezeichnen − was freilich auch für die üblicherweise genannten Kulturen gilt.“
Das Forschungsprojekt, das in seiner Haupt- und Abschlussphase durch die DFG-Förderung der Kollegforschergruppe „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“, deren Sprecher Professor Rüpke ist, ermöglicht wurde, ist nun zunächst abgeschlossen. Eine erneute vergleichende Diskussion des römischen Falls ist aber für den religionswissenschaftlichen Weltkongress in Erfurt im Jahr 2015 geplant.