Unter dem Titel „Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung“ ist gerade die Dissertation von Riccarda Suitner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt, im Meiner Verlag für Philosophie erschienen. Die Arbeit ist ein Ergebnis intensiver Recherche an den Beständen der Forschungsbibliothek Gotha und wurde von Prof. Dr. Martin Mulsow, Direktor des Forschungszentrums Gotha, betreut.
Das Buch rekonstruiert erstmals die faszinierende Geschichte einer Reihe fiktiver Totengespräche, die zwischen 1729 und 1734 – anonym oder unter Pseudonym und sämtlich als Flugschriften veröffentlicht – in Deutschland erschienenen sind. Die Protagonisten dieser Gespräche gehören zu den berühmtesten Denkern der Frühaufklärung (u. a. Chr. Thomasius, A. H. Francke, J. Fr. Budde, N. H. Gundling) und Philosophen des 17. Jahrhunderts (Descartes, Leibniz, Bekker). In den fünf Jahren, in denen die Dialoge erschienen, lösten sie auf verschiedenen Feldern (philosophischen, theologischen, ökonomischen, persönlichen) scharfe Kontroversen aus. Die Wechselbeziehungen zwischen allen Texten und häufig sogar ihre Existenz waren bisher jedoch völlig unbekannt.
Die Arbeit weist die Zuordnung der untersuchten Dialoge zu einem einzigen, einheitlichen Korpus von Totengesprächen nach, rekonstruiert ihre Genese, interpretiert die in den Gesprächen inszenierten Kontroversen, widerlegt die – lange angenommene – Verfasserschaft des sächsischen Journalisten David Fassmann und versucht, dem Umfeld der Autoren anonymer philosophischer Flugschriften auf die Spur zu kommen. Die Integration von gewöhnlich getrennten Forschungsfeldern (clandestine Literatur, Anonymität, Flugpublizistik, philosophischer Dialog) und die Aufmerksamkeit für Kreise, die sich »am Rande« des universitären Establishments befanden, eröffnen neue Perspektiven auf die Debatten und Strömungen der deutschen Frühaufklärung.
Riccarda Suitner war 2011 Stipendiatin der Graduiertenschule „Religion in Modernisierungsprozessen“ der Universität Erfurt und seit 2012 Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kolleg-Forschergruppe am Max-Weber-Kolleg in Erfurt.
Riccarda Suitner
Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung
Studien zum achtzehnten Jahrhundert 37
Hamburg: Meiner Verlag für Philosophie, 2016
276 Seiten, 78 EUR
ISBN: 978-3-7873-3055-3