„Arbeiten vor Ort, Arbeiten am Raum. Geographische Expertisen zwischen den Weltregionen“ ist der Titel des inzwischen 6. Workshops der Erfurter RaumZeit-Gruppe (ERZ), zu dem die Universität Erfurt am Montag, 2. Dezember, in den Seminarraum des Forschungszentrums Gotha auf Schloss Friedenstein herzlich einlädt. Organisatoren der Veranstaltung sind Prof. Dr. Iris Schröder und Dr. Sebastian Dorsch von der Universität Erfurt.
Der Workshop der 2011 gegründeten Erfurter RaumZeit-Forschergruppe geht der Frage nach, wie sich die Erfahrung vor Ort im Feld in wissenschaftliche, geo-/kartografische Praktiken einschreibt. Empirischer Ausgangspunkt ist die in der Forschungsbibliothek Gotha verwahrte Sammlung des Perthes-Verlags, deren Überlieferung es erlaubt, sowohl Forschungsreisende im Feld als auch die Genese geo-/kartografischen Wissens und die Herstellung der dazugehörigen Geo-/Kartografien genauer zu verfolgen.
Wie in anderen Wissenschaftszentren Europas herrschte auch beim Gothaer Perthes-Verlag – nach Aussage des langjährigen Chefkartografen August Petermann – der Anspruch, „vorläufige Endgültigkeiten“ zu schaffen. Im Sinne der „immutable and combinable mobiles“ (Bruno Latour) sollten die wissenschaftlichen Ergebnisse – seien es Karten oder Schriftstücke – überdies mit anderen Wissenbeständen kombinierbar sein. Entsprechend sollten sie vermeintlich universellen Standards genügen, auch wenn die Untersuchungsgegenstände, das heißt die zu kartierenden Räume, unterschiedlich zu bearbeiten waren: „Das lokale Wissen der Wilden wird das universelle Wissen der Kartografen. Die undeutlichen, ungefähren und unbegründeten Vorstellungen der Ureinwohner werden in ein präzises, sicheres und begründetes Wissen verwandelt“. Der Aufbereitung geografischen Wissens etwa im Medium der Karte stand so das „nomadische“ Wissenschaffen vor Ort gegenüber (Deleuze/Guattari). Damit geraten diverse „Einkerbungen/Glättungen“ (Deleuze/Guattari), Sprecher-Positionen und Machtrelationen in den Blick, die starke räumliche Konnotationen aufweisen.
Der ERZ-Workshop wählt einen interdisziplinären Zugang und diskutiert neben Grundlagentexten aus der Ethnologie und Philosophie/Kulturwissenschaft erste ausgewählte Fallstudien und Methoden zu den Praktiken von Forschungsreisenden, Geografen und Kartografen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Regionale Bezugspunkte sind Afrika und Lateinamerika sowie die „Projektionsfläche Arktis“, die hier auch in der Auseinandersetzung mit dem in Europa entwickelten geo-/kartografischen Praktiken zu untersuchen sind. Ziel des Workshops ist es, interdisziplinäre wie raum-zeitliche Reflexionsmöglichkeiten nicht nur vor Ort, sondern auch zwischen den Weltregionen methodisch und empirisch genauer zu konturieren.
Programm
9.45–10.15 Uhr
Begrüßung und Einleitung (Sebastian Dorsch / Iris Schröder)
10.15–12 Uhr
Sektion 1: Forschen vor Ort, Forschen im Feld – methodische Positionierungen (Moderation: Susanne Rau, Erfurt)
Michi Knecht: „‘Vor Ort‘ im Feld? Zur Kritik und Reakzentuierung des Lokalen als europäisch-ethnologischer Schlüsselkategorie“ (Einführung von Sebastian Dorsch / Iris Schröder)
Gilles Deleuze / Félix Guattari: Tausend Plateaus, Kapitel 14: „1440 – Das Glatte und das Gekerbte“ (Einführung von Jörg Dünne/Erfurt)
13.30–15 Uhr
Sektion 2: Afrika in Gotha, Gotha in Afrika - Perspektiven der Forschung (Moderation: Nils Güttler, Erfurt/Gotha)
Iris Schröder / Claudia Gunkel (Erfurt/Gotha): Lokales Wissen – universelle Wissenschaft : Georg Schweinfurths völkerkundliche Expertisen
Michael Pesek (Berlin): Vergessene Imperialisten: Das Beispiel Richardt Kandt und die Anfänge deutscher Kolonialherrschaft in Ostafrika
15.30–17 Uhr
Sektion 3: Lateinamerika in Gotha, Gotha in Lateinamerika – Perspektiven der Forschung (Moderation: Robert Fischer, Erfurt)
Florian Heintze / Sebastian Dorsch (Erfurt) in Diskussion mit Christine Hunefeldt (San Diego/USA): Lokales Wissen - Netzwerke(n) - Kartieren: Geographisches Arbeiten zwischen Brasilien und dem Perthes-Verlag Gotha im 19. Jahrhundert
Wolf-Dietrich Sahr (Curitiba/Brasilien): Verräumlichung und Territorialisierung – methodische Überlegungen zur geographisch-historischen Debatte in Brasilien
ab ca. 17 Uhr
Abschlussdiskussion (Moderation: Andreas Christoph, Jena)
Einführende Statements:
Christian Holtorf (Coburg): Geographische Expertisen zwischen den Weltregionen: Die Reflexionsfläche Arktis
Petra Weigel (Gotha): Perspektiven der Forschung mit der Sammlung Perthes
Im Anschluss gemeinsames „konzeptionelles“ Abendessen der Erfurter RaumZeit-Gruppe.