Universität Erfurt

Amplonius. Ein Macher und seine Zeit: Ein Interview mit Dr. Marina Moritz über den Höhepunkt des Amploniana-Jubiläumsjahres

Dr. Marina Moritz
Dr. Marina Moritz

„Amplonius: Die Zeit. Der Mensch. Die Stiftung. 600 Jahre Bibliotheca Amploniana in Erfurt“ ist der Titel einer Ausstellung, die ab 24. November 2012 im Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt zu sehen ist und die gleichzeitig den Höhepunkt des Amploniana-Jubiläumsjahres bildet. Carmen Voigt, Pressesprecherin der Universität Erfurt, sprach im Februar 2012 darüber mit der Kuratorin und Museumsdirektorin, Dr. Marina Moritz.

Wie kam es zu der Idee, eine solche Ausstellung im Volkskundemuseum zu machen?

Ganz einfach: Die Universität wollte eine besondere Ausstellung zum Stiftungsjubiläum in der Innenstadt und suchte dafür einen professionellen Partner. Als mich Professor Brodersen daraufhin ansprach, war die Entscheidung meinerseits schnell gefallen: eine einzigartige Sammlung, eine spannende Zeit, eine interessante Stifterpersönlichkeit und noch dazu ein unmittelbarer Bezug zu unserem Domizil, dem ehemaligen Großen Hospital von Erfurt. 1385 erfolgte dessen Grundsteinlegung. Neben der wenige Jahre später errichteten Universität war es damals das Prestigeobjekt der Stadt, steingewordener Ausdruck von Reichtum und Fortschritt. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat es Amplonius, der ja auch ein bedeutender Arzt gewesen ist, während seiner Erfurter Zeit aufgesucht. Sehr schnell war ebenso klar, dass das Vorhaben konzeptionell einen stark alltags- und sozialhistorisch geprägten Ansatz verfolgen würde. Und das nicht nur, um sich deutlich von einer 2001 im Angermuseum gezeigten Amploniana-Ausstellung abzuheben, die seinerzeit vorwiegend den Stellenwert der Sammlung als einzigartigem kulturellen Schatz thematisierte. Alles in allem wollen wir mit unserer Ausstellung das Tor zu einer Welt aufstoßen, die heute oft fremd und geheimnisvoll erscheint und in der doch vieles entsteht, das späterhin modernes Leben auszeichnen wird. Dafür müssen wir auch wissenschaftliches Neuland betreten.


Wir, das heißt das Museum für Thüringer Volkskunde?
Das Museum zusammen mit seinen Partnern, denn ohne sie könnten wir eine solches Vorhaben nicht stemmen. Wir, das heißt zum einen die kleine Arbeitsgruppe, zu der auch Mitarbeiter der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, wo seit 2001 die "Amploniana" aufbewahrt und erforscht wird, gehören. Ihr steht ein wissenschaftlicher Beirat zur Seite. Auch die Gestalterin ist von Anfang an dabei. Natürlich ist solch eine Ausstellung nicht ohne Leihgeber und vor allem nicht ohne finanzielle Unterstützer denkbar. Deshalb möchte ich an der Stelle ausdrücklich das Land Thüringen und mit ihm Dr. Thomas Seidel nennen, das das Projekt im Rahmen der Luther-Dekade fördert, die Sparkassenstiftung Erfurt, die Hessische Landesbank, die Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen sowie die Sparkasse Mittelthüringen. Selbstverständlich steuern auch Museum und Universität Mittel aus ihren Haushalten bei. Nicht zu vergessen das finanzielle Engagement unseres Fördervereins. Dadurch verfügen wir über ein Budget, das zwar nicht zu Höhenflügen verleitet, aber ausreicht, um unsere Ideen in die Tat umsetzen zu können.

Was genau wird denn in der Ausstellung zu sehen sein?
Der Titel lässt es schon vermuten, dass unter Hinzuziehung neuer Forschungsergebnisse der Stifter selbst eine große Rolle spielen wird. Aber uns ist es genauso wichtig, sein gesellschaftliches Umfeld zu beleuchten und dabei mit Klischees aufzuräumen. Amplonius eignet sich dafür exzellent, verdichtet sich doch in seiner Person der eruptiv aufbrechende Zwiespalt zwischen Mittelalter und der Neuzeit exemplarisch. Das Stadtbürgertum etablierte sich zur neuen starken Führungsschicht in Staat und Gesellschaft, übernahm auch im kulturellen Bereich mehr und mehr die Rolle von Adel und Klerus, „entdeckte“ das Mäzenatentum für sich und brach neuen geistigen Strömungen wie Humanismus und Renaissance Bahn. Amplonius war einer dieser „neuen“ Menschen. Wir wollen uns aber genauso mit Unterschichten-Existenzen beschäftigen.

Verraten Sie uns schon einige Spitzenstücke oder Höhepunkte der Ausstellung?
Dazu ist es jetzt, zu Beginn des Jahres, sicher noch zu früh, wir sind gerade mitten in der Exponatrecherche. Aber ich kann schon jetzt sagen, dass wir mit Leihgaben aus dem Angermuseum, der Domschatzkammer, dem Thüringer Landesamt für Denkmalpflege/Archäologische Denkmalpflege sowie aus Erfurter Kirchen rechnen können. Aus unserem Fundus steuern wir drei kostbare Perlmuttminiaturen bei, die vorher noch niemals gezeigt worden sind. Ich bin überzeugt, dass die Ausstellungsbesucher am Ende ganz besondere Dinge zu sehen bekommen, die anschaulich werden lassen, wie Menschen damals gelebt, gedacht und gefühlt haben. Natürlich dürfen ausgewählte Handschriften aus der "Amploniana" nicht fehlen. Auch hier wird Neues zu sehen sein. Darüber hinaus wird es eine Publikation zur Ausstellung geben. Dabei denken wir nicht an einen Katalog, der die Ausstellung 1:1 abbildet, sondern an ein Begleitbuch im besten Sinne des Wortes, was auch optischen Genuss verspricht. Renommierte Autoren werden daran mitwirken. Es soll etwas sein, das über die Ausstellung hinaus Bestand hat und auch von Lesern verstanden wird, die keine Spezialisten sind.

Die Ausstellung im Volkskundemuseum ist offizielles Projekt der Luther-Dekade Thüringen. Was hat Amplonius mit Luther zu tun?
Amplonius starb 1435. Persönlich konnten sich beide Männer also nicht begegnen. Luther dürfte aber, als er 1501 sein Studium an der Artisten-Fakultät der Erfurter Universität aufnimmt, auch mit der "Bibliotheca Amploniana" in Verbindung gekommen sein. Es ist zu vermuten, dass das daraus erworbene Wissen sein späteres Denken und Handeln mit geprägt hat. Außerdem schaffte die „Amplonius-Zeit“ die politischen, wirtschaftlichen, soziokulturellen und geistigen Voraussetzungen, aus denen heraus das epochale Wirken Luthers erst möglich und verständlich ist. Überspitzt gesagt: Keine Reformation ohne "Amploniana"!

Sie sprachen eingangs davon, dass vieles aus der Zeit Amplonius‘ nach wie vor aktuell sei. Was können wir denn heute von diesem mittelalterlichen Gelehrten lernen?
Zum Beispiel seine unbändige Neugier auf die Welt, seine umfassende Bildung, seine Zielstrebigkeit, die Macherqualitäten. Bei aller Faszination: Ein „Heiliger“ war Amplonius ganz gewiss nicht. Das eigene Wohl bedeutete ihm stets viel. So ist es eine interessante Frage, wie er das viele Geld zusammenbekommen hat, um sich eine derart hochkarätige Bibliothek zu leisten. Die Tatsache, dass er aus einer wohlhabenden Familie stammt, reicht als Erklärung nicht aus. Lebte Amplonius heute, wäre er vermutlich ein erfolgreicher Investmentbanker, der freilich, um sich unsterblich zu machen, kaum mehr Handschriften sammeln würde, sondern moderne Kunst. Bei aller Ambivalenz hat er auf jeden Fall dazu beigetragen, die enge mittelalterliche Welt zu überwinden und die „Neuzeit“ einzuläuten. Die Moderne nimmt hier ihren Anfang. Dass wir mit der Amploniana nun einen so großartigen Schatz in Erfurt beherbergen dürfen, das ist schon ein großes Glück – nicht nur für die Ausstellung im Herbst.

… die am 24. November eröffnet und bis zum 1. April 2013 im Volkskundemuseum zu sehen sein wird. Wird es dazu spezielle Führungen und Veranstaltungen geben?
Sicherlich wird es das klassische Beiprogramm geben. Darüber hinaus haben wir Kontakt zur Rheinberg aufgenommen, der Geburtsstadt Amplonius‘. Die Kollegen dort sind sehr aufgeschlossen und werden sich auch an unserem Begleitbuch beteiligen. Und natürlich wäre es toll, wenn es uns gelänge, mit den Schülern des dortigen Amplonius-Gymnasiums ins Gespräch zu kommen. Zudem wird die Universität Erfurt im Jubiläumsjahr spezielle Veranstaltungen rund um die "Bibliotheca Amploniana" anbieten, zum Beispiel sind eine Ringvorlesung und eine Vortragsreihe in Planung. Wie gesagt, an all dem arbeiten wir derzeit noch. Aber ich freue mich schon jetzt auf eine wirklich spannende Ausstellung und wunderbare Begegnungen.

Navigation

Werkzeugkiste

Nutzermenü und Sprachwahl