"Jedes Jahr im Mai ist Rennsteiglauf"

Rennsteig-Supermarathon 2002

Ein persönlicher "Leidensbericht" vom 30. Guts-Muths-Rennsteiglauf - von Jens Panse

Seit 1985 ist der Guts-Muths-Rennsteiglauf für mich ein unverrückbarer Termin im Mai. Einmal habe ich gefehlt, einmal Halbmarathon, fünfzehnmal Marathon von Neuhaus nach Schmiedefeld. Fünfzehnmal Qualen am Anstieg bei Kahlert und am letzten Berg zum Ziel nach Schmiedefeld erst recht. Mehrfach hatte ich mir geschworen, es nicht wieder zu tun, um jedes Mal wieder rückfällig zu werden. Jetzt zum 30. Rennsteiglauf sollte es schon was Besonderes sein. Ich wollte wissen, wie das ist mit dem "Supermarathon". Was soll ich sagen: jetzt weiß ich's.

Samstag morgen um 4.00 Uhr aufstehen. Fahrt nach Eisenach unterwegs noch Halt an einer Tankstelle. Die Batterie vom Fotoapparat leer. Unvorstellbar - mein erster Supermarathon und kein Belegfoto. Die LKW-Fahrer, die ihren Kaffee schlürfen schauen mich mit meiner Startnummer etwas merkwürdig an. Dafür gibt's ein paar aufmunternde Worte von der Tankfrau auf den Weg. Am Start auf dem Marktplatz ist alles etwas ruhiger als in Neuhaus, wo sich immer mehr als 3000 am Marathonstart drängeln. Immerhin haben sich auch 1500 "Verrückte" eingefunden, so viele wie lange Jahre nicht. Sicher sind die "Deutsche Ultramarathonmeisterschaft", als die der diesjährige Lauf zugleich gewertet wird und das Jubiläum mit ein Grund dafür. Trotzdem spielt keine Kappelle den Schneewalzer. Dafür sucht der Sprecher nach der Laufgruppe "Kremer", die sich zum Foto versammeln soll. Sportfreund Kremer, einer der Begründer des Laufes, hat es sich also nicht nehmen lassen und ist zum Jubiläum gekommen, trotz des Ärgers in den letzten Jahren. Schön!

Peter und ich stellen uns auch zum Startfoto auf. Dann rücken wir nach hinten, wollen es ruhig angehen. Start: Punkt 6 Uhr bei angenehmen Temperaturen, 14 Grad, aber viele Wolken am Himmel. Ich habe die lange Hose vorsichtshalber anbehalten, auch aus Angst vor dem Auskühlen der Muskeln und möglichen Krämpfen. Es geht hinauf zum Burschenschaftsdenkmal. Wir nehmen langsam Schwung auf und überholen die, denen wir beim Start den Vortritt gelassen haben. Irgendjemand zählt laut an der Strecke 222. - vermutlich viel zu schnell. Wir kommen ins Gespräch mit einem von der Hainich-Laufgruppe. Der hat es schon dreimal gemacht und will unter 7 Stunden laufen, Peter auch. Ich will einfach nur durchkommen. Trotzdem laufen wir zu dritt weiter, gehen den steilen Anstieg zum Inselsberg um Kräfte zu sparen und passieren Kilometer 30 nach 2:45. Bei Kilometer 34 wird mir dann doch mulmig und ich lasse die zwei ziehen. Plötzlich ist die Luft raus und die Beine werden schwer. Halbzeit an der Ebertswiese. Am Verpflegungspunkt gibt es Würstchen. Ich verkneife es mir und greife nur eine Scheibe Weißbrot. Am nächsten Berg überholt mich ein Wanderer. Jetzt wird es peinlich. Unvorstellbar nochmal ein solches Stück zu laufen. Ich beschließe, bei der nächsten Möglichkeit ins Begleitauto zu steigen. Bei Kilometer 41 in der Nähe vom Nesselhof quert der Rennsteig die Straße. Aber unser Fahrer und Fotograf Frank, der bislang alle 10 Kilometer am Wegrand stand, ist nicht da. Ich setzte mich auf die Bank und überlege. Wie komme ich nach Schmiedefeld? Anrufen und meine Frau im Stadion ausrufen lassen? Frau Panse möge bitte zum Nesselhof kommen, ihren Mann abholen. Unvorstellbar! Außerdem habe ich noch nie aufgegeben. Aber heute will ich eigentlich nicht mehr.

Trotzdem stehe ich wieder auf und mache mich auf das für mich schlimmste Stück zum Grenzadler. Irgendwie erreiche ich ihn auch nach fünfeinhalb Stunden. Am Verpflegungspunkt empfängt mich Erich vom Wintersportverein Oberschönau. Wir fallen uns in die Arme. "Das ist schlimmer als ich dachte", murmle ich und schlürfe dabei eine Suppe. "Lass es ganz ruhig angehen, der Anstieg jetzt und noch der zum Beerberg, und dann ist das Schlimmste geschafft" - vermutlich erzählt das Erich schon mehr als 20 Jahre jedem um ihm Mut zu machen.

Frank treffe ich erst bei Kilometer 58 am Rondell wieder. Ich strecke ihm fürs Foto die Zunge raus. "Daß man dich auch mal wieder sieht", schimpfe ich - obwohl ich ihm eigentlich dankbar bin, dass er vorhin nicht an der Strecke gestanden hat. Jetzt habe ich beschlossen, irgendwie ins Ziel zu kommen. Peter ist 20 Minuten vor mir durch. Ich werfe ein paar Traubenzuckertabletten ein und schnappe mir noch eine Flasche. "Sag im Ziel Bescheid, dass es später wird, aber ich komme".

Ich wandere zum Beerberg, den mit 984 Metern höchsten Punkt des Laufes und versuche dann wieder zu laufen. An der Schmücke steht nochmal Frank. Mein Rückstand auf Peter beträgt jetzt schon 45 Minuten. "Ich habe dich mal für um drei in Schmiedefeld angekündigt", sagt er. Ich protestiere: Es sind "nur noch" 9 Kilometer und irgendjemand hat erzählt es geht bergab. "Wenn alles gut läuft, bin ich halb drei da,. Mach schon mal das Bier im Ziel auf". Eine Gruppe älterer Wanderer macht eine Laola-Welle und johlt als sie auf meinem durchgeschwitzten Trikot "Erfurt" lesen. Grüße aus der Heimat auf die letzten Kilometer. Ich strecke die Faust nach oben und plötzlich gehorchen die Beine wieder und laufen wie ferngesteuert wieder los. Der allerletzte Anstieg heißt ausgerechnet "Mordfleck". Bei Kilometer 70 ist mir das aber auch egal. Am Verpflegungspunkt lasse ich mir ein Bier geben. So "gedopt" überhole ich jetzt wieder andere Läufer. Es fängt doch noch an zu tröpfeln, aber ich höre die Lautsprecher vom Ziel, nehme Schwung für die letzte Kurve und laufe in die Zielgerade. Das ist der Moment, für den man sich 8 Stunden gequält hat. Ich erkenne in dem Gewühl keinen weil ich viel zu schnell bin, überhole noch lockeren Schrittes einen Läufer und strecke beide Arme gen Himmel. Bei 8:07:06 bleibt die Uhr für mich stehen. Ich habe auf den letzten Kilometern von der Schmücke noch 3 Minuten auf Peter aufgeholt, wobei das nebensächlich ist. Ich bin durchgekommen, bei meinem bislang größten Laufabenteuer.
Nie wieder!? Abends liege ich dann doch fertig auf der Couch. Wir haben mit Sekt und Bier angestoßen. Alle von unserer Laufgruppe sind auf ihrer jeweiligen Strecke gut angekommen. Bevor ich einschlafe, höre ich noch, dass meine Freunde hinter meinem Rücken Wetten abschließen. Frank hat eine Kiste Sekt darauf gesetzt, dass ich nächstes Jahr doch wieder Supermarathon laufe. Wenn ja, dann darf er aber nicht am Kilometer 41 stehen ...


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