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Im Kanton Graubünden in der Schweiz liegt Davos. Dort findet neben verschiedenen Politiker- und Wirtschaftstreffen seit 20 Jahren der unter Lauffreunden bekannte Swiss Alpine Marathon statt. Besonders der K78 stellt mit einer Distanz von 78,5 km (Karte), 2320 Höhenmetern (Profil) und dem höchsten Punkt bei 2632m eine Herausforderung dar. Für das 20. Jubiläum hatten Peter und ich uns diesen Lauf als Saisonhöhepunkt ausgewählt. Während Peter schon eine Woche eher mit Familie anreiste und noch ein kleines Höhentrainingslager absolvierte, startete ich erst am Vortag in Erfurt. Schon die Anfahrt begann kurz hinter Erfurt mit heftigen Gewittern, durch die es sogar zwei Vollsperrungen auf der Autobahn gab, glücklicherweise in der Gegenrichtung. Am Nachmittag traf ich in Davos ohne weitere Probleme ein.
Nach dem Einchecken im Hotel, das nur 200m vom Start entfernt liegt, mache ich mich auf den Weg zur Marathonmesse und Abholung der Startunterlagen. Vor dem Kongresszentrum begegnet mir Bernhard von den Mihlaern Lauffreunden, der beim K28 starten will. Mit Peter treffe ich mich abends zur Pastaparty. Sorgen macht uns vor allem das Wetter, da für die Nacht schwere Unwetter angesagt sind und auch das Wetter am Lauftag sehr unbeständig und deutlich kühler sein soll.
Am Lauftag stehe ich um 6 Uhr auf und mache zuerst den Fernseher wegen des aktuellen Wetterberichts an. Der hat sich leider nicht verbessert, die schweren Unwetter sind aber an Davos vorbeigezogen. Außerdem stelle ich fest, dass die Temperatur am Morgen mit 17 Grad auch viel milder als die angesagten 8 Grad ist und das die Livecam auf einem 2600m hohen Pass auch schon 11 Grad anzeigt. So entschließe ich mich, in kurz zu laufen und die Laufjacke mitzunehmen. Eine Viertelstunde vor dem Start begebe ich mich zum Startgelände, dort werde ich gleich noch vor einer Kamera interviewt. Peter kann ich nicht finden, also stelle ich mich hinten an. Der Rennarzt appelliert eindringlich über Lautsprecher „trinken, trinken, trinken“ an die Teilnehmern und droht zur Bekräftigung mit einer Infusion am Scaletta-Pass. Gleich wird also die Herausforderung beginnen! Zwei Hubschrauber kreisen über dem Stadion, so dass ich den Startschuss nicht höre. Plötzlich bewegen sich die Läufer vor mir und ich kann auch losgehen. Am Start-Tor zeigte die Uhr beim Passieren schon 1:15' an und ich gehe immer noch. „Die 1-2 Minuten Verzögerung sind bei der Strecke doch egal“ denke ich in diesem Moment.
Zunächst geht es auf eine große Runde durch Davos, hier stehen auch sehr viele Zuschauer. Nach Davos kommen wir in ein liebliches Tal mit Almen, vereinzelten Gehöften und Wäldern und es geht erstmal bis Kilometer 15 noch knapp 200m bergauf. Nach ca. 10km sehe ich Peter 20m vor mir, kurz hinter ihm läuft eine junge Frau, die mir schon im vergangenen Jahr in Celje und beim Albmarathon aufgefallen war, weil sie mich jeweils ein paar Kilometer vor dem Ziel noch überholt hat. Ich spreche sie an und bleibe eine Weile bei ihr. Peter verschwindet wieder aus meinen Augen. An einem Anstieg verlasse ich auch meine Begleiterin und bin wieder allein. Der Wechsel von der weiten Almen-Landschaft in die enge Zügen-Schlucht ist faszinierend, wir laufen teilweise durch Felstunnel, unten rauscht der Fluss. Nach der Schlucht kommt die Bahnstation Wiesen, wo wieder sehr viele Zuschauer Stimmung machen. Danach wird die Schlucht über das berühmte Viadukt in 88m Höhe überquert. In Filisur ist nach Kilometer 32 mit 1000m der niedrigste Punkt der Strecke erreicht, auf den vergangenen 15 km ging es 700m bergab. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Energiereserven des Körpers erschöpft sind, beginnt hier der lange Aufstieg mit 1600 Höhenmetern zum höchsten Punkt der Strecke an der Keschhütte bei Kilometer 52. Für mich beginnen hier die ersten Probleme, zum einen sicher mental wegen der bevorstehenden Strecke und zum anderen habe ich aus Angst vor Magenproblemen bis zu diesem Punkt sicher wieder zu wenig Iso-Getränk genommen, so dass etwas Energie fehlt. Auf der leicht ansteigenden Straße nach Bergün gehe ich sogar, weil die Beine einfach nicht mehr wollen. In Bergün treffe ich genau zum Start des K42 ein, der von hier bis auf den Panoramatrail die Sreckenführung des K78 bis ins Ziel hat. Ich nehme mir am Verpflegungsstand Zeit und versuche Energie aufzufüllen. Mit 2 Bechern in der Hand gehe ich wieder los. Die Stimmung in Bergün ist wieder fantastisch. Plötzlich steht Bernhard vor mir, macht ein Foto und sagt noch, dass Peter knapp 10 Minuten vor mir ist. Die nächsten Kilometer nach Chants sind immer noch leicht ansteigend, trotzdem gehe ich sehr viel. Jetzt überholen mich sehr viele Läufer, da ja auch die frisch gestarteten K42-Läufer im Feld sind. Da kommt auch von hinten wieder meine ehemalige Begleiterin und fordert mich zum Mitlaufen auf. Ich gebe mir einen Ruck und laufe wieder los, am nächsten Anstieg bin ich sogar wieder schneller als sie, jedoch halte ich das nur kurz durch und ich lasse die junge Frau ziehen. Ab Chants wird es allerdings richtig steil, jetzt wandern alle nur noch. Auf dem Bergpfad ist eine endlose Schlange aus Läufern oder besser Gehern unterwegs. Für die 12 km und 1300 Höhenmeter von Bergün zur Keschhütte benötige ich 2 Sunden und 18 Minuten, das hätte ich vorher nicht geahnt! Trotzdem bin ich mit dem steilen Stück sehr gut zurechtgekommen und habe dort viele Läufer überholt. Scheinbar liegt mir das Gehen doch mehr als das Laufen, denke ich. An der Keschhütte auf 2632m tönt es aus dem Lautsprecher „Jetzt kommt Frank Becker mit großen Schritten“, was für eine Begrüßung am höchsten Punkt der Strecke! Die Stimmung an der Hütte ist gigantisch, das Wetter ist entgegen allen Vorhersagen auch toll, so dass es ein atemberaubendes Alpenpanorama zu sehen gibt. Nach einer Stärkung begebe ich mich auf den Panoramatrail und versuche auch wieder zeitweise zu laufen. Allerdings muss man sehr aufpassen, da der Weg ein typischer Bergpfad ist. Prompt schreit hinter mir ein Läufer auf, der sich scheinbar in dem Moment den Fuß umgeknickt hat. Anderen Läufern kann man an den Sachen oder an Wunden ansehen, dass sie schon einen Sturz hinter sich haben. Über ein kleines Schneefeld und einen kurzen steilen Anstieg erreiche ich den Scaletta-Pass, wo der kurze Check durch den Rennarzt erfolgt, den ich passieren kann.
Nach einem steilen Abstieg erreiche ich Dürrboden, hier gibt es ein besonderes Brot mit Feigen und Rosinen, das neue Energie geben soll. Jetzt geht es eigentlich nur noch 14 km bergab nach Davos, trotzdem fällt mir das Laufen immer noch schwer, es geht aber wieder, kleine Anstiege gehe ich. 10km vor dem Ziel gibt es Cola, die ich auch gerne nehme. Und es passiert, was ich nicht mehr für möglich gehalten habe, ich kann wieder sehr gut laufen, auch Anstiege. Jetzt überhole ich wieder viele Läufer, auch vom K42 und vom Staffellauf. Eine 2. Cola nehme ich 5 km vor dem Ziel und ich laufe problemlos in Davos an meinem Hotel vorbei ins Ziel ein. Die Zeit bleibt für mich bei 9:01:31h als 257. von 1100 Finishern stehen. Da hat zum Schluss also doch der hintere Startplatz eine Zeit unter 9h verhindert! Eigentlich ist die Zeit aber egal, ich bin froh, die Strecke geschafft zu haben und das das Wetter so ideal war. Peter ist eine knappe halbe Stunde vor mir im Ziel. In Davos hängen dicke Regenwolken und es ist kalt, so dass ich mir im Ziel erstmalig meine Jacke anziehe, die ich die ganze Strecke umsonst getragen habe. Ich höre noch einige Durchsagen des Stadionsprechers mit Namen von Läufern, die unterwegs aufgegeben haben, und über inzwischen schlechtes Wetter im alpinen Teil der Strecke. Abends im Hotel bekomme ich noch bis nach 20 Uhr die Anfeuerungsrufe für die Läufer mit, die immer noch unterwegs und kurz vor dem Ziel sind. An diesem Abend denke ich, dass ich so einen Lauf bestimmt nur einmal gemacht habe. Inzwischen sieht es aber ein bisschen anders aus. Im Kanton Graubünden soll es noch einen Marathon geben, der von Chur auf das Rothorn führt, d.h. ca. 2700m bergauf...
Frank Becker
Fernsehbericht zum 20. Swiss Alpine
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