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Grundlegende Unterschiede zwischen der deutschen und der lateinischen Metrik

Die lateinische Metrik unterscheidet sich grundsätzlich von der deutschen: Der Rhythmus eines deutschen Verses ergibt sich aus dem natürlichen Wortakzent, d.h. aus dem regelmäßigen Wechsel von betonten und unbetonten Silben. Dagegen ist die Prosabetonung eines Wortes für einen lateinischen Vers bedeutungslos. Sein Rhythmus ergibt sich aus der geregelten Abfolge von langen und kurzen Silben. Vergleichen Sie zur Illustration die in Hexametern abgefaßte Klage des unglücklich verliebten Gottes Apollon im lateinischen Original (Ov. Met. 1.520) und in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss:

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Während im deutschen Vers Wortakzent und Versakzent immer übereinstimmen, weichen sie in lateinischen Versen häufig voneinander ab:

Wortakzent: Versakzent:

 

Lange und kurze Silben

Für das Lesen und die Analyse lateinischer Verse müssen Sie zunächst wissen, welche Silben lang und welche kurz sind. Unterschieden wird zwischen natur- und positionslangen Silben.

Positionslange Silben

Die Regel:

Positionslang ist eine Silbe dann, wenn auf einen Vokal zwei oder mehr Konsonanten folgen, und zwar auch über die Wortgrenze hinweg.

Ausnahmen und Besonderheiten:
– Wenn auf die Verschlußlaute (lat. "Muta" von mûtus a um) "p", "b"; "t", "d"; "k", "g" die Fließlaute (lat. "Liquida" von liquidus a um) "l" oder "r" folgen, wird die Silbe im Vers meist kurz, seltener lang gemessen.
– Der Buchstabe "h" gilt nicht als Konsonant un erzeugt daher keine Positionslänge.
– Die Kombination "qu" erzeugt keine Positionslänge.
– Der Buchstabe "x" gilt als Doppelkonsonant ("ks" bzw. "gs").

Naturlange und von Natur kurze Silben

Die Regeln:

– Naturlang sind immer die Diphthonge "ae", "oe" und "au" sowie einsilbig gesprochenes "ei" und "eu".
–

Kurz ist ein Vokal in der Regel dann, wenn auf ihn ein weiterer Vokal folgt:
Vocalis ante vocalem corripitur. – Vokal vor Vokal wird gekürzt.
Ausnahmen zu dieser Regel finden sich:

a) in griechischen Lehnwörtern und Eigennamen wie z.B. "".
b) Der in der Prosa lang gemessene Genitiv auf "-îus" der Pronomina "ille", "iste", "ipse" und der Pronominaladkektive "ûter", "alter", "ûnus", "tôtus" etc. wird in der Dichtung bald lang, bald kurz gemessen.
– Alle anderen Vokale können sowohl lang als auch kurz sein. Auskunft gibt in Zweifelsfällen ein Wörterbuch. Hilfreich ist es zudem, wenn Sie die Quantitäten der Deklinations- und Konjugationsendungen kennen.

     

Wortübergänge im Vers

Elision

Wenn ein Wort vokalisch auslautet und das nächste mit einem Vokal oder einem "h" beginnt, wird der auslautende Vokal nicht gesprochen (elidiert, von lat. "êlîdere = ausstoßen"), so daß auf den letzten Konsonant des vorausgehenden Wortes sofort der anlautende Vokal des nächsten folgt. So werden in dem Vers

"Multi illam petiere, illa aversata petentes" (Ov. Met. 1.478)

die drei Stellen, an denen Vokale aufeinandertreffen folgendermaßen verschliffen:

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Synaloephe

Wenn ein Wort auf "-m" endet und das nächste Wort mit einem Vokal oder "h-" anfängt, werden weder das "-m" noch der diesem vorausgehende Vokal gesprochen. Konsonanten und geht von dort auf das folgende Wort über. Beispiel:

Aus:
"Monstrum horrendum informe ingens"
wird:
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Aphärese

Wenn auf ein vokalisch auslautendes Wort ein "est" folgt, wird anders als bei der Elision nicht der auslautende Vokal des ersten Wortes gestrichen, sondern das "e-" von "est". Beispiel:

Aus:
"Aurea prima sata est aetas"
wird:
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Folgt auf ein mit "-m" auslautendes Wort ein "est", wird anders als bei der Synaloephe das "-m" gesprochen und lediglich das "e-" weggelassen. Beispiel:

Aus
"An quod ubique tuum est"
wird:
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Der daktylische Hexameter

Versfüße und Grundschema

Der Hexameter (vgl. griech. "hex" = "sechs") ist ein ist ein sechshebiges Versmaß, das aus einer Kombination von zwei bzw. drei unterschiedlichen Versfüßen besteht, von denen einer, der Trochäus, allerdings nur im letzten Metrum vorkommen kann.

Daktylus: Spondéus: Trochäus:

Grundsätzlich ist der Hexameter ein daktylisches Versmaß mit folgendem Schema:

In den ersten vier Versfüßen kann an die Stelle des Daktylus ein Spondéus treten.
Im fünften Versfuß steht in aller Regel ein Daktylus. In den seltenen Fällen, in denen der Daktylus auch im fünften Versfuß durch einen Spondéus ersetzt wird, spricht man von einem "versus spondíacus".
Die Quantität der letzten Silbe ist schwankend ("syllaba anceps"). Demnach kann der letzte Versfuß entweder ein Spondéus oder ein Trochäus sein. Da ein Vers mit einem Trochäus am Ende unvollständig ist, spricht man von einem katalektischen Hexameter (von griech. "katalégein" = "vorzeitig aufhören"). Vollständige Verse heißen "akatalektisch", also "nicht vorzeitig aufhörend".

Zäsuren und bukolische Dihärese

Wie alle längeren Verse hat auch der Hexameter an bestimmten Stellen durch Wortende hervorgerufene Einschnitte. Trennt das Wortende einen Versfuß in zwei Hälften, spricht man von einer Zäsur. Fällt das Wortende dagegen mit dem Ende eines Versfußes zusammen, spricht man von einer Dihärese.

Penthemimeres:
Die häufigste Zäsur ist die nach der dritten Hebung:

Schema:

                            

Beispiel:

          

Die Bezeichnung Penthemimeres bedeutet wörtlich "nach dem 5. halben Teil"; vgl. griech. pénte = fünf und méros = Teil.

Trithemimeres und Hephthemimeres:
Zäsur nach der dritten bzw. der siebten Hebung; beide Zäsuren treten häufig zusammen auf.

Schema:

                              

Beispiel:

         

Trithemimeres heißt "nach dem dritten halben Teil", Hephthemimeres "nach dem siebten halben Teil".

Bukolische Dihärese:
Wortende nach dem 4. Versfuß. Als Haupteinschnitt im Vers eher selten.

Schema:

                               

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2.3  Tips zur Versanalyse

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