Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum in Leipzig zeigt vom 8. September 2017 bis 7. Januar 2018 in Kooperation mit der Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt (Prof. Dr. Patrick Rössler) in einer Ausstellung die Anfänge der Infografik am Beispiel zweier unverwechselbarer Bildsprachen: Aus unterschiedlichen Traditionen heraus entwickeln der österreichische Ökonom Otto Neurath, der 1918 Museumsdirektor in Leipzig wurde, und der in Halle geborene Mediziner Fritz Kahn fast zeitgleich ihre abstrakten Bilderwelten, die auf einer formalen Stilisierung des menschlichen Körpers beruhen. Die Ausstellung setzt die beiden unterschiedlichen Herangehensweisen erstmals umfassend in Beziehung zueinander: als ein jeweils spezifischer Beitrag zum „Iconic Turn“ dieser Epoche mit ihrem starken Interesse an einer Internationalisierung von Wissenschaft und Wissensvermittlung.
Spätestens seitdem die New York Times 2002 für Infografiken zu 9/11 mit der höchsten Auszeichnung für Journalisten – dem Pulitzer Preis – gewürdigt wurde, ist klar: Die Infografik ist in der heutigen Medienwelt angekommen. Ihre Wurzeln aber gehen in die Zeit um 1900 zurück: Angesichts einer immer unübersichtlicher werdenden Informationsflut begann man, komplexe Zusammenhänge in einfache Bilder zu übersetzen. Eine mehr und mehr globalisierte Weltsicht bediente sich grafischer Mittel, um die Welt zu erklären. Die Nachfrage nach visueller Kommunikation stieg seit Anfang des 20. Jahrhunderts sprunghaft: Der Unübersichtlichkeit gesellschaftlicher Prozesse stand die Suche nach einfachen Ordnungen und Orientierung gegenüber, die eine neue Bilderwelt in Kunst und Design hervorbrachte.
Die Ausstellung „Bildfabriken. Infografik 1920 – 1945: Fritz Kahn, Otto Neurath et al.“, die von der Kulturstiftung des Bundes im Programm Fellowship Internationales Museum gefördert wurde, thematisiert diesen Visualisierungsschub im frühen 20. Jahrhundert und nimmt zwei spezifische Antworten der damals sich neu etablierenden Informationsgrafik in den Blick: Während Neuraths Konzept der „Isotype“ (International System of Typographic Picture Education) Piktogramm-ähnliche Grafiken als Zähleinheiten für soziale Gegebenheiten entwickelt, zielen Kahns „Fabriken des menschlichen Körpers“ auf mechanistisch aufbereitete Prozessdiagramme, in denen der Mensch zum „Industriepalast“ wird.
Die beiden Protagonisten teilen das Schicksal, als Exilanten durch die Welt gejagt worden zu sein. Beide waren wegen ihres jüdischen Glaubens der Verfolgung durch die Nationalsozialisten ausgesetzt. Aufgrund langer Exilwege, aber auch wegen beruflicher Umorientierungen, war ihr Leben durch zahlreiche Brüche und Ortswechsel gekennzeichnet.
Nach dem Motto Otto Neuraths „Words devide, images unite“ bringen Infografiken als in Form und Farbe prägnante, sprachunabhängige Bildzeichen bis heute komplexe Informationen auf den Punkt. Insofern leistet die Ausstellung mit den historischen Positionen Otto Neuraths und Fritz Kahns auch einen Beitrag zur aktuellen Debatte um eine neue Informationsökonomie.
Die zweisprachige Ausstellung gliedert sich in acht Module: Idee & Maschine, Der neue Körper, Bilderfinder, Ideen auf Weltreise, Isotype: Zeichen der modernen Welt, Weltbild, Visuelle Bildung und Infografik und Medien. Sie zeigt nicht nur Publikationen aus den reichen Beständen der Deutschen Nationalbibliothek, sondern präsentiert auch unikale Objekte aus dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek und aus US-amerikanischen und britischen Archiven – allen voran dem Leo Baeck-Institut, New York und der Universität Reading, UK.
Zur Ausstellung erscheint im Verlag Spectorbooks Leipzig ein von der Kuratorin Helena Doudova gemeinsam mit Stephanie Jacobs und Patrick Rössler herausgegebenes zweisprachiges Begleitbuch, das durch die Gesellschaft für das Buch e. V. unterstützt wurde. Es ist zum Preis von 24 Euro im Museum erhältlich.
Die Ausstellung ist vom 8. September 2017 bis 7. Januar 2018, jeweils dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags von 10 bis 20 Uhr und an Feiertagen (außer montags) von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei. Die Eröffnung findet am 7. September um 19 Uhr statt.